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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht begreifen konnten, wo ich mit diesem kostbaren Leben hinaus wollte.
    Bald aber kam die Zeit heran, wo sich jene unangenehmen Besuche in meinem Vorzimmer einstellten, die meines Vaters letzte Lebenslage so sehr verbittert hatten, und ich wußte schon allzu gut, wie gefährlich die Krankheit ist, die in solchen Symptomen sich äußert. Dennoch aber haschte ich immer nach Zerstreuungen, eilte von Vergnügungen zu Vergnügen. Konzerte, Schauspiele. Bälle, alle Kaffeehäuser und Vergnügungsorte besuchte ich, aber nicht, um darin behaglich zu weilen; eine innere Ungeduld hetzte mich da- und dorthin und scheuchte mich überall so bald wieder fort, als könnte ich den Moment nicht erwarten, wo Schmach und Schande über mich ausbrechen würden, als scheute ich mich vor allem Nachdenken und Überlegen, dem einzigen Rettungsmittel.
    Sicher wäre ich dem Abgrund nicht entgangen, hätte sich das Glück meiner nicht erbarmt, das Glück, der Vormund aller Unmündigen. Nicht die Kühnen begünstigt es, Fortuna wäre nicht die komische, hirnlose Göttin, wenn sie nicht das Abgeschmackteste und Widersinnigste am liebsten und mit entschiedener Vorliebe unterstützte.
    An einem der letzten Tage, wo ich mich meiner Equipage noch bedienen konnte, kutschierte ich mit Abschiedsgefühlen durch die Straßen von Paris. Ich war eben in die Rue du Temple eingebogen, als ich anhalten mußte, denn ein Marktschreier mit einem roten Rocke, einer blonden Allongeperücke und Schellen an jeder Locke bot seine Waren feil, und ein unabsehbarer Volkshaufen umgab ihn. Ich wollte wieder umlenken, aber mehrere Equipagen hielten schon hinter mir; die Fußgänger dazwischen litten in der Tat Gefahr, und besonders einer dem Anscheine nach ältlichen Dame ward im Gedränge hart zugesetzt. Sie bat mit sichtbarer Verlegenheit, daß man ihr Platz gönnen möge, den Boulevard zu erreichen, aber mit jedem Augenblick ward es minder möglich, ihr den Willen zu tun. Ich bot ihr endlich einen Platz in meinem Wagen an, den sie, mit feinem Anstande dankend, ohne weitere Umstände annahm. Die Polizei schlug sich endlich ins Mittel: der Marktschreier mußte seinen Tisch zusammenschlagen und seinen Kasten auf den Rücken nehmen. Die Menge zog lärmend nach, die Wagen gewannen wieder Raum, und es versteht sich von selbst, daß ich meiner Unbekannten anbot, sie nach ihrer Wohnung zu begleiten. Sie nannte sich Madame Forget, war aus der Provinz, hatte ein Gut in der Nähe von Rochelle und war eines Prozesses halber, der sich seit dem Tode ihres Mannes angesponnen, nach Paris gekommen. – Als Wohnung bezeichnete sie ein Hotel in der Faubourg St. Germain, wohin ich sie auch führte. Vor dem Hause wollte ich mich verabschieden, allein, sie gab es nicht zu und bestand darauf, ihren Ritter, wie sie mich nannte, bewirten zu dürfen. Das aufdringliche Benehmen war höchstens einer schönen, jungen Dame verzeihlich, bei der ältlichen verriet es die Provinz mehr als billig, allein, ich fügte mich ihren Wünschen, ich bedurfte der Zerstreuung, und wenigstens neu war diese Situation. – Wir waren in ein einfach, aber geschmackvoll möbliertes Zimmer gelangt, als meine Unbekannte ihren Mantel abwarf, ihrer Schals und Schleier sich entledigte und, sich mit einem Male zu mir wendend, ein so reizendes, jugendliches Antlitz zeigte, daß ich nicht wußte, wie mir geschehen war; wohl zwanzig Jahre mochten in ihrem Mantel stecken, daß sie diese damit ablegen konnte: und wenn mich die frische, unerwartete Jugend überraschen mußte, so tat es mehr noch ihre Schönheit. Eine recht seltsame Figur mochte ich wohl spielen, als sie mich in ihrem reizenden Patois bat, einen Augenblick zu verweilen, derweil sie sich umkleiden wollte. – Noch war ich von meinem Erstaunen nicht zurückgekommen, als sie schon wieder erschien in einem weißen, reizenden Negligé, daß ich nie ein Wesen gesehen zu haben glaubte, das ihr an Liebenswürdigkeit zu vergleichen sei. Sie nötigte mich, Platz zu behalten, und begann die Unterhaltung mit so viel Geist. Witz, Güte, Vertrauen und Freundlichkeit, daß statt der vorigen Überraschung und des Staunens ich mich mit einem Male heimisch neben ihr fühlte und sie wie eine längst bekannte Freundin mir vorkam, deren Gegenwart ich nur allzulange entbehrt, um ihr mein volles, aufrichtiges Vertrauen zu widmen. Sie forschte, wer ich sei und nach meinen Umständen, ich schilderte ihr meine trostlose Lage und ward mir jetzt erst der Verzweiflung bewußt, die lange

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