Lennox 01 - Lennox
vermutete, die Tür vor mir führte in den einzigen anderen Raum der Wohnung. Ich schwang die Tür auf und überraschte Lena und einen dicken Geschäftsmann in den mittleren Jahren auf dem Sofa. Lena war als Krankenschwester anzogen. Oder genauer gesagt, halb ausgezogen. Ich kann mich irren, aber nach allem, was ich sah, bezweifelte ich, dass sie in Erster Hilfe ausgebildet war, es sei denn, Mund-zu-Schwanz-Beatmung war eine lebensrettende Maßnahme.
»Schatz!«, stieß ich empört hervor. »Du hast mir doch gesagt, du verdienst dein Extrageld mit Nähen!«
Beide sprangen auf, und der Dicke geriet in Panik. Er zog die Hose hoch, packte seine Jacke und schoss an mir vorbei aus der Wohnung. Dabei machte er einen so weiten Bogen um mich, wie es nur ging.
Diesmal schenkte Lena mir nicht ihren Rita-Hayworth-Blick.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fauchte sie mich an. Ihre Stimme war dünn und kratzig. Wie Sneddon gesagt hatte, redete Lena trotz ihres Aussehens wie eine echte Kodderschnauze aus Gorbals. Dann kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. »Ich kenne Sie doch ... Sie waren am Circus. Sie waren der Kerl, mit dem Arthur gesprochen hat.«
»Der bin ich«, sagte ich und setzte mich in den Sessel vor dem Sofa. Lena nahm sich einen Morgenmantel und bedeckte, was sie zu bieten hatte.
»Machen Sie, dass Sie rauskommen! Was glauben Sie, wer Sie sind? Hier einfach reinzuplatzen!«
»Ich bin froh, dass Sie darauf zu sprechen kommen, Lena.« Ich lächelte. »An dem Abend, an dem ich mit Parks gesprochen habe, habe ich für Mr. Sneddon gearbeitet. Und heute Abend bin ich hier, weil ich noch immer für Mr. Sneddon arbeite.«
Ihre Miene schlug um. Jetzt zeigte sie nackte Angst.
»Hören Sie ... das, was Sie gesehen haben ... ich versuche nicht, Mr. Sneddon das Wasser abzugraben, aber ich muss ja irgendwas zwischen die Zähne bekommen ...«
»Ich habe gesehen, dass Sie sich große Mühe geben«, sagte ich.
»Bitte sagen Sie Mr. Sneddon nichts. Ich tue alles ...« Lena kam einen Schritt näher, öffnete den Morgenmantel, entblößte ihre Brüste und lud mich ein, Doktor und Krankenschwester mit ihr zu spielen.
»Tun Sie Ihre Werkzeuge wieder in den Kasten, Lena«, sagte ich. »Ich bin von Berufs wegen hier. Und es geht um meinen Job, nicht um Ihren. Setzen Sie sich.«
Sie bedeckte sich und nahm Platz. Ich gab ihr die Fotografie von Lillian Andrews.
»Kennen Sie die Frau?«
»Oh ja. Die kleine Scheißhure! Das ist Sally Blane.«
»Kannte Parks sie?«
»Ich glaub nicht, aber er kannte ihre Schwester. Sie hat ’ne Weile für ihn gearbeitet.«
»Lassen Sie mich raten.« Ich steckte mir eine Zigarette an. Lena bot ich keine an; der Königliche Krankenschwesternverband hätte es missbilligt. »Sally Blanes Schwester ist Margot Taylor.«
»Stimmt«, sagte Lena. »Aber Arthur hat Sally nicht gekannt. Margot hat sich ihr Haar blond gefärbt. Sonst sahen sie sich ziemlich ähnlich. Ich hab Sally erst über Margot kennengelernt. Margot wollte, dass ich mit ihnen arbeite. Sie hatten ihr eigenes kleines Nebengeschäft. Aber ich glaube, Sally fand mich ’n bisschen zu gewöhnlich für das, was sie wollten.«
»Gott bewahre«, sagte ich und zog an meiner Zigarette.
»Entweder das, oder sie hielt mich für zu alt«, fuhr Lena unbeirrt fort. »Sally war ’ne hochnäsige kleine Schlampe. Egal, ich wollte sowieso nicht. Mr. Sneddon hätte es nicht gefallen. Arthur hat Margot deswegen durchgeprügelt.«
Ich sah mir Lena an. Ich schätzte sie auf dreißig. Wieder hatte sie dieses verschwommene, irritierend aristokratische Aussehen: nicht wirklich eine Schönheit, aber sehr attraktiv. Sie hatte das Zeug, um bei einem hochklassigen Callgirlring auszuhelfen. Solange sie nicht den Mund aufmachte.
»Wo hat Sally gearbeitet?«
»In Edinburgh. In irgend ’ner feinen Fickbude. Warum woll’n Se das eigentlich wissen?«
»Haben Sie je den Namen Lillian Andrews gehört? Und vor allem, erinnern Sie sich, ob Sally Blane sich je so genannt hat?«
»Nee. Ich bin ihr nur einmal begegnet. Und einmal dieser Scheiß hat mir gereicht. Hören Sie ... Sie werden doch Sneddon nicht sagen, dass ich hier Freier habe?«
»Das interessiert mich nicht. Haben Sie je gesehen, wie Arthur Parks mit einem der McGahern-Zwillinge gesprochen hat?«
»Na, auf keinen Fall! Sneddon hätte Arthur die Eier abgeschnitten, wenn der sich irgendwie mit den McGaherns eingelassen hätte.«
»Dieses Nebengeschäft von Sally und Margot ... haben sie Ihnen viel
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