Letzte Beichte
also nett und ahnungslos, und sie waren mit hundert Menschen in der Kirche gewesen. Ich strich die zweite Spalte auf meiner Tafel durch und machte mit der nächsten weiter.
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» HAMISH Mc GIVERN « hatte ich auf meine Tafel geschrieben. »Berufstätig, verheiratet …« Dann kommt dieses Mädchen daher, überlegte ich, und bringt alles durcheinander.
Amanda hatte mir gesagt, dass er Lehrer sei. Ein ausgebrannter Chemielehrer an einer schicken Privatschule in einem Vorort von Stirling. Verbrachte die Wochenenden mit Freunden und versuchte unter der Woche, das vorgeschriebene Klassenziel zu erreichen. Kein schlechtes Leben, aber vielleicht auch nicht mehr als das.
»Er hat Golf gespielt«, sagte Amanda, als ich sie um elf Uhr anrief, um mit ihr über Hamish zu sprechen. »Es gibt vier Männer, die das bezeugen können. Er hätte es nicht getan. Er ist ein netter Typ, und er hat sie geliebt, und Sie müssen damit aufhören. Sie werden verrückt. Bitte rufen Sie mich nicht wieder an.«
Hatte er sie geliebt? Konnte er das, wo doch tragische Ereignisse am Anfang und Ende ihrer Beziehung standen? Konnte es ihm gefallen, dass sie manchmal die Augen schloss und ihn sich anders vorstellte?
Na gut, dachte ich mir, hat er also Golf gespielt. Damit hat sich der Fall. Wie sehr er es vielleicht gewollt hat, er war’s nicht. Ich kreuzte ihn durch, rauchte noch eine, nahm einen letzten Schluck, und dann bestürmten mich die Fragen … Amanda. Warum war sie so abwehrend? So komisch? Warum wollte sie, dass ich aufhörte, ihr und Jeremy zu helfen? Warum wurde sie wütend, obwohl doch ihr über alles geliebter Mann lebenslänglich hinter Gitter kommen konnte? Warum lachte sie, wenn sie nicht lachen sollte? Bei unserem zweiten Gespräch hatte sie mirdie ganze Geschichte von Jeremy und seiner Schwester Bella aufgetischt, aber der Polizei hatte sie nichts gesagt. Warum redete sie nicht hartnäckiger auf Jeremys Mutter ein, damit die mit der Wahrheit über Jeremys Aufenthaltsort rausrückte? Hatte sie es überhaupt versucht? Sie hatte nie etwas in dieser Richtung verlauten lassen.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie an nichts anderes gedacht. Hatte sich nach nichts so sehr gesehnt wie nach diesem Menschen: ihr ganz persönliches Disneyland, das ihr zustand, aber nicht gehörte. Hatte sich die Begegnung ausgemalt: den besonderen Draht zueinander, die geteilten Sorgen, die geteilte Leere, und dann findet sie sie, aber es bringt nichts. Es ist sogar verstörend. Oder?
Mag sein, dass genetisch-sexuelle Attraktion ziemlich verbreitet ist. Trotzdem zweifelte ich an diesem Abend auf meiner Fensterbank an Amanda, und ich zweifelte umso mehr, je länger ich über die ganze Geschichte nachdachte.
Hatte sie einen Groll gegen ihre Mutter gehegt, seit sie herausgefunden hatte, dass sie adoptiert worden war? Hatte sie vielleicht schon immer nach Rache gelechzt? Hatte sie alles geplant? Die sexuelle Geschichte, den Mord?
»Der Amanda-Komplex« schrieb ich unter ihrem Namen auf die Tafel. Eine Zeitlang starrte ich meine Wortschöpfung an, dann unterstrich ich sie mit roter Kreide. Einer meiner gerade erst manikürten Nägel brach dabei ab, was zunächst einfach ärgerlich war. Und dann, als ich den Rest des Nagels abbiss, traf es mich wie ein Blitzschlag.
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43
Nachdem ich Robbie bei meinen Eltern vorbeigebracht hatte, schaute ich auf dem Weg zur Arbeit in Amandas Nagelstudio vorbei.
»O Gott«, seufzte sie. »Was ist es diesmal?«
»Nichts. Ich möchte mich entschuldigen«, sagte ich und sah mich unauffällig nach ihrem braunen Ledernecessaire um. Es lag auf ihrem Tischchen.
»Gut«, sagte Amanda und drehte sich um, um mich zur Tür zu bringen. Sobald sie mir den Rücken zuwandte, griff ich nach dem Necessaire und ließ es in meine Tasche gleiten.
»Tut mir leid, Amanda«, sagte ich im Hinausgehen. Sie hielt mir die Tür auf. »Ich will versuchen, Sie nicht wieder zu belästigen.«
Einige Minuten später stürmte ich in die Kanzlei von Jeremys Anwalt. Der Anwalt saß hinter seinem pompösen Schreibtisch und schlürfte ausgezeichneten Kaffee.
Ich knallte das Necessaire auf den Schreibtisch.
»Ziehen Sie einen Handschuh an!« sagte ich. Er tat es, ehe er den Reißverschluss öffnete.
»Knipszangen für die Zehen?«
»Und allerlei anderes Werkzeug zur Maniküre und Pediküre. Amanda lebt davon, und sie benutzt dieses spezielle Set bei Menschen, die ihr nahestehen.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Die DNA ! Sie hat auf dem
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