Letzte Ehre
Hotel blicken zu lassen. Um zwei Uhr betrat ich den Flur zu einer Erkundungstour und machte mich mit den Gegebenheiten des Stockwerks vertraut. Ich entdeckte den Feuerlöscher, zwei Notausgänge und die Eismaschine. Auf einer Konsole gegenüber den Aufzügen stand ein Haustelefon. Im Lagerraum am Ende des Korridors konnte ich zwei Wäschekarren erkennen, die schief hineingeschoben worden waren. Ich ging auf sie zu und verbrachte ein paar Minuten damit, die Bestände zu mustern. Weitere Bügeleisen und Bügelbretter, zwei Staubsauger. Hinten in der Nische stand ein großer Wäscheschrank, dessen Einlegeböden fast bis unter die Decke mit sauberen Laken und Handtüchern beladen waren. Ich konnte Kisten voller Toilettenpapier sehen und kleine Türme aus Plastikpaletten, die die Miniaturtoilettenartikel enthielten. Nett. Das gefiel mir. Ein Arm voller Handtücher ist ein guter Vorwand dafür, in ein Zimmer einzudringen. Ich fand ein Türschild aus Plastik mit der Aufschrift »Zimmermädchen anwesend«, das ich mir gleich schnappte, wo ich schon dabei war.
Nachdem ich die Möglichkeiten erschöpfend studiert hatte, fuhr ich zum Souvenirladen hinab und kaufte mir ein Buch. Ich sah mich gezwungen, zwischen fünfzehn glühenden Liebesromanen auszuwählen, da das Hotel nichts anderes auf Lager hatte. Zusätzlich kaufte ich eine Handvoll Mini-Pfefferminzplätzchen und hielt mich nur so lange in der Hotelhalle auf, wie es dauerte, um Laura auf ihrem Zimmer anzurufen. Als sie sich meldete, sagte ich »Hoppla, es tut mir leid«, und legte auf. Klang, als hätte ich sie mitten in einem Nickerchen aufgeschreckt. Ich vertrieb mir den Nachmittag mit Lesen und Schlafen. Aus einem phänomenalen Mangel an Einfallsreichtum heraus bestellte ich mir über den Zimmerservice eine Abendmahlzeit, die ein exaktes Abbild meines Mittagessens war: Cheeseburger, Pommes frites und Diät-Pepsi.
Kurz nach sieben streifte ich meine Jeans ab und zog meine schicke rote Uniform an. Ich war nicht gerade begeistert von den nackten Beinen mit den Joggingschuhen, aber was sollte ich machen? Ich stopfte mir die Taschen voller Pfefferminzplätzchen und holte die übrigen gestohlenen Uniformen aus der Schublade, in der ich sie versteckt hatte. Ich schob den Zimmerschlüssel in die Tasche und ging auf die Feuertreppe zu. Auf dem Weg nach oben hielt ich mich lang genug im zehnten Stock auf, um die entwendeten Uniformen in den Lagerraum zu hängen. Ich wollte die anderen Zimmermädchen wegen meines Diebstahls nicht in Schwierigkeiten bringen.
Der zwölfte Stock war genauso angelegt wie der achte, außer daß der Lagerraum nicht so gut bestückt war. Ich schnappte mir ein Staubtuch und einen Staubsauger, suchte mir im Flur eine Steckdose und begann mich staubsaugend auf Laura Huckabys Zimmer zuzubewegen. Der Teppich war eine extravagante Wiese aus geometrischen Formen; Dreiecke überlappten sich auf einem leuchtenden Streifen in Hell-/Dunkelgold und Grün. Staubsaugen ist immer beruhigend: eine langsame, eintönige Bewegung, begleitet von einem tiefen, stöhnenden Geräusch und diesem befriedigenden Knacken, wenn etwas richtig Tolles aufgesaugt wird. Noch nie war der Teppichboden so gründlich gesäubert worden. Ich arbeitete, bis ich schwitzte, doch erlaubte mir diese Mühe, mich nach Belieben hier aufzuhalten.
Um 19.36 Uhr hörte ich das Ping des Aufzugs, und jemand vom Zimmerservice erschien mit einem Speisetablett. Er ging auf Zimmer 1236 zu. Er balancierte das Tablett bequem auf Schulterhöhe und klopfte an ihre Tür. Ich saugte in diese Richtung weiter und schaffte es, einen Blick auf sie zu werfen, als sie ihn hereinließ. Sie war barfuß und sah in dem Hotelbademantel, aus dem unten ein Nachthemd heraushing, massig aus. Die lässige Kleidung ließ vermuten, daß sie bald zu Bett gehen wollte, was für meine Zwecke günstig war. Der Kellner kam Momente später wieder heraus. Er ging ohne ein Wort an mir vorbei und verschwand im Aufzug, ohne meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Da es trotz allem möglich war, daß Laura Besuch bekommen oder ausgehen und sich mit jemandem treffen könnte, blieb ich auf meinem Überwachungsposten.
Als ich zum Staubsaugen keine Lust mehr hatte, zog ich mein Staubtuch hervor, kniete mich hin und wischte Fußleisten ab, die offenbar seit Jahren niemand mehr angefaßt hatte. Manchmal ist es wirklich schwer, sich vorzustellen, wie die männlichen Detektive so etwas machen. In regelmäßigen Abständen wandte ich den Kopf zu
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