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Leuchtende Sonne weites Land - Roman

Titel: Leuchtende Sonne weites Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser
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die Schule vielleicht geschlossen, und dann wären alle meine Schülerinnen so traurig gewesen wie das kleine schwarze Mädchen.
    Einige Wochen später schrieb Margaret:
    Heute bin ich hinausgegangen und habe mit dem Mädchen gesprochen, das uns immer öfter beim Unterricht zuschaut. Vivienne Radcliffe hatWind davon bekommen, dass sie mehrmals in der Schule war. Sie hat reagiert, wie ich befürchtete, und gedroht, die Schule zu schließen, falls ich mich ihren Anweisungen widersetze. Ich habe mich aber gesorgt, weil die Kleine jedes Mal die vereiste Feuerleiter hinaufklettert und später ganz allein im Dunkeln nach Hause gehen muss, auch wenn sie nicht weit weg wohnt, wie sie erzählte. Also habe ich ihr erklärt, dass sie nicht länger zuschauen dürfe, weil es einfach viel zu gefährlich sei. Sie sagte nichts. Sie guckte mich nur an. Ich hätte ihr gern angeboten, ihr Privatunterricht zu geben, aber ich wusste, wenn Vivienne davon erfuhr, würde sie mich feuern. Ihre großen braunen Augen füllten sich mit Tränen. Ich war selbst den Tränen nahe, als ich ihr sagte, wie leid es mir tue. Sie ließ den Kopf hängen und verschwand in der Dunkelheit.
    Der nächste Eintrag war am 10. Januar 1946 geschrieben worden, drei Tage vor Margarets Tod.
    Die Kleine ist heute Abend doch wieder da gewesen, obwohl es schon dunkel war und den ganzen Tag geschneit hat. Ich machte mir schreckliche Sorgen um sie. Ich winkte ihr, sie solle doch hereinkommen. In diesem Moment war es mir egal, ob man mich entlassen würde oder nicht. Ich wusste, draußen war es bitterkalt, die Kleine musste doch fast erfrieren. Doch sie beachtete mich nicht.
    Ich hatte mit den Mädchen die Arabeske geübt und die vier Positionen, die sie dafür beherrschen mussten. Als sie an der Stange übten, schaute ich wieder zum Notausgang hinauf, aber das kleine Mädchen war fort. Ich war erleichtert. Anscheinend hatte sie es eingesehen und war nach Hause gegangen. Eine halbe Stunde später wurden meine Schülerinnen von ihren Müttern abgeholt. Ich schloss die Tür ab und fuhr mit Jacqueline nach Hause.
    Der letzte Eintrag war am darauffolgenden Tag datiert.
    Heute Morgen kam die Polizei zu uns. Zum Glück waren Mitchell und Jacqueline in der Schule, sodass sie nichts davon mitbekamen. Auf dem Parkplatz vor der Ballettschule war die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden worden. Die Polizei ging davon aus, dass sie von einem Auto erfasst worden war. Sie wollten meinen Wagen sehen. Sie fanden Blutspuren an der Karosserie.
    Jacqueline schnappte erschrocken nach Luft. »Meine Mutter hat das kleine Negermädchen getötet! Deshalb hatte die Menge sich vor unserem Haus zusammengerottet! Deshalb sind wir verfolgt worden! Sie hat sie auf dem Parkplatz überfahren!«
    Vera klappte den Mund auf und wieder zu. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    Die beiden ahnten nicht, dass Dot sie belauschte. Da sie Geld brauchte, war sie zum Arbeiten gekommen, aber es gab nichts für sie zu tun, und so hatte sie wenigstens ein Marmeladenbrot für Yuri gemacht. Sie riss die Augen auf, als sie hörte, was Jacqueline sagte. Es war noch nicht lange her, da hatte Ben im Zusammenhang mit einem Zeitungsartikel, über den er mit Nick sprach, den Ausdruck »Neger« gebraucht. Dot hatte es zufällig gehört und gefragt, was das bedeute. Ben hatte es ihr erklärt. Jacquelines Mutter hatte also das Kind eines Schwarzen getötet. Dot fühlte sich in ihrer Meinung über Jacqueline bestätigt. Diese Frau stellte eine Gefahr für ihren Sohn dar. Sie verließ eilig das Haus, ohne dass irgendjemand etwas mitbekam.
    »Lies weiter, Jackie«, drängte Vera. »Du musst die ganze Wahrheit wissen.«
    Jacqueline tupfte sich die Tränen ab und atmete tief durch.
    Ich war fassungslos, am Boden zerstört. Ich dachte, ich hätte das kleine Mädchen beim Rückwärtsausparken im Dunkeln erfasst, und das, während mein eigenes kleines Mädchen bei mir im Auto saß. Als ich erfuhr, dass es sich bei der Toten um eine Schwarze handelt, war mir sofort klar, dass es das kleine Mädchen war, das beim Unterricht zugeschaut hatte. Ich erzählte der Polizei, wie sie meine Schülerinnen vom Notausgang am Ende der Feuerleiter aus beobachtet hatte. Ich fühlte mich schuldig, weil ich mich nicht vergewissert hatte, ob sie tatsächlich nach Hause gegangen war. Als die Beamten daraufhin die Feuerleiter in Augenschein nahmen, entdeckten sie Blutspuren. Das kleine Mädchen, das Valmae Brown hieß, war auf einem Eisentritt

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