LIMIT - reich, gewissenlos, tot
Wange.
»Oje, das muss ja wehtun«, sagte Hailey.
»Ich blute«, sagte Bridger. »Die werden uns aufspüren.«
Connor sagte: »Es blutet doch nur ein bisschen, Junge, halb so wild.«
Hailey fischte das Reinigungstuch für ihre Schneebrille aus der Tasche und reichte es ihm.
»Du wirst es überleben«, sagte auch sie.
Bridger schaute finster drein. Er konnte es nicht leiden, wenn Hailey die Überlegene spielte. Er drückte sich das Tuch auf die Wunde und eilte Connor hinterher. Vor dem Büro ihres Vaters stellte Hailey das Gewehr beiseite, fischte die Magnetkarte aus der Tasche und öffnete damit die Tür. Sie gingen hinein. Ein Lichtstrahl fiel durchs Fenster, verursacht vom Flutlicht für die Eislaufbahn drei Stockwerke tiefer. Leise stöhnend sank Connor auf die Couch. »Deine Füße stinken«, stellte Bridger mit einem Stoßseufzer fest.
»Was?«, sagte Connor.
»Er hat deine Käsefüße gerochen«, behauptete Bridger.
Hailey lachte in sich hinein, während sie die Schreibtischschubladen ihres Vaters nach Heftpflaster durchwühlte. Nicht lange, und sie förderte glücklich eine Packung zutage. Mit Connors Hilfe hatte sie Bridgers Wunde bald fachgerecht verbunden.
»Ich leg mich kurz aufs Ohr«, sagte Connor. »Mein Magen tut immer noch höllisch weh.«
Er griff sich den dicken Wollpullover seines Vaters und stieß die Kissen zu Boden. Dann warf er sich auf die Couch und nahm den Pullover als Kopfkissen. Dabei rieb er sich den Magen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Hailey.
»Klar«, erwiderte Connor mit einem Lächeln. »Wenn ich an den Burschen und seine Rasierklingen zwischen den Zehen denke, geht’s mir schon besser.«
Bridger grinste. »Genau, eine der besten Ideen, die ich je hatte.«
Er legte sich auf die Kissen, zog sich den Anorak über die Schultern und fühlte sich plötzlich erschöpft. Er machte die Augen zu und glitt, trotz der schmerzenden Wange, langsam in Richtung Schlaf.
Hailey blieb am Schreibtisch stehen und sah sich ein gerahmtes Foto an, auf dem ihr Vater, ihre Brüder und sie selbst bei einer Wandertour in den Bergen zu sehen waren, die sie im vorigen Sommer unternommen hatten. Sie nahm das Foto auf und betrachtete die Gesichter, vor allem das ihre und das ihres Vaters. Er stand hinter seinen Drillingen, hatte die Arme um Connor und Bridger gelegt, die sie in die Mitte genommen hatten. Sie war die Einzige, die nicht in die Kamera schaute, sondern trotzig zu Boden starrte.
Ihr Vater dagegen strahlte, als wäre er der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Als sie das sah, nach allem, was seit gestern passiert war, löste sich etwas in Hailey, und sie konnte endlich wieder spüren, wie sehr ihr Vater sie liebte, sie alle drei. Das hatte sie natürlich die ganze Zeit gewusst. Aber gespürt hatte sie es nicht. Und plötzlich überkam sie der Wunsch, ihren Vater besser kennenzulernen, ihn zu verstehen, sich mit ihm auszusöhnen. Eine Sehnsucht befiel sie, die nur dadurch gestillt werden konnte, dass ihr Vater sie in den Arm nahm.
Sie stellte das Foto zurück auf den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Der Bildschirm leuchtete auf und warf einen blassblauen Schimmer auf Haileys Gesicht.
»Was tust du da?«, flüsterte Connor von der Couch aus.
»Ich schreib Dad eine E-Mail«, flüsterte sie zurück.
»So was Blödes hab ich noch nie gehört«, sagte Bridger, der auf dem Boden lag. »Glaubst du im Ernst, er ist in der Lage, seine Mails abzurufen?«
Hailey ignorierte ihn. Sie öffnete ihr Mail-Programm und schrieb:
Dad? Wo bist du? Wir haben dich überall gesucht. Wir suchen nach dir und haben uns in deinem Büro versteckt. Zuerst waren wir in deiner Wohnung, aber einer von denen hat uns entdeckt. Er hat Connor in den Magen getreten, da haben Bridger und ich ihn mit Farbe beschossen, bis er bewusstlos war. Dann haben wir ihn gefesselt, ihm Rasierklingen zwischen die Zehen geklebt – Bridgers Idee – und unter deine Matratze gesteckt. Es geht uns gut. In Liebe, Hailey
.
Sie tippte die Mail-Adresse ihres Vaters ein und verschickte die Nachricht. Sie gähnte, ging an die Heizung und drehte sie auf 23 Grad. Dann ließ sie die Rollos herunter, kuschelte sich in den verstellbaren Lehnstuhl und deckte sich mit dem Anorak zu. Hailey fragte sich, wo ihre Mutter gerade sein mochte und ob sie etwas von dem Überfall mitbekommen hatte. Wenn ja, war sie zweifellos krank vor Sorge. Das war schon immer so gewesen, wenn sich einer von ihnen dreien verletzt hatte. Hailey war das
Weitere Kostenlose Bücher