Lords und Ladies
trug, schlief er auf der anderen Seite der
Tür.
Bei den Göttern! Er hatte die Nacht immer vor der Tür seines Herrn
verbracht. Und nun schlief er vor der Pforte seines Königreichs.
Magrat spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen fül ten.
Man mußte einfach jemanden lieben, der so sentimental war.
Sie fühlte sich fasziniert und wußte gleichzeitig, daß sie an diesem Ort
eigentlich nichts zu suchen hatte. Trotzdem: Sie putzte sich die Nase und
setzte ihre Entdeckungsreise fort. Einige neben dem Bett liegende Klei-
dungsstücke wiesen darauf hin, daß. Verence mit seiner Garderobe eben-
so rücksichtsvol umging wie die meisten Angehörigen des männlichen
Teils der Bevölkerung. Und noch etwas: Wie viele seiner Geschlechtsge-
nossen schien er gewisse Schwierigkeiten mit den komplexen topologi-
schen Manövern zu haben, die nötig waren, um Socken auf die richtige
Seite zu ziehen.
Die ehemalige Hexe sah eine kleine Frisierkommode samt Spiegel, an
dem eine kleine, verwelkte Blume befestigt war. Sie hatte große Ähnlich-
keit mit jenen Blumen, die Magrat des öfteren im Haar trug.
An dieser Stelle hätte sie das Zimmer besser verlassen sollen, wie sie
später zugeben mußte. Aber sie schien überhaupt keine Kontrol e mehr
über sich zu haben.
Mitten auf der Frisierkommode stand eine Art Napf aus Holz. Er ent-
hielt Münzen, Bindfäden und andere Dinge, wie sie für eine abends ge-
leerte Hosentasche typisch zu sein schienen.
Ein zusammengefalteter Zettel fiel Magrat auf. Er sah aus, als hätte er
eine ganze Weile in besagter Hosentasche verbracht.
Die Fast-Königin griff danach und entfaltete ihn.
An mittwärtigen Hängen der Spitzhornberge gab es überal kleine Kö-
nigreiche. Jedes schmale Tal und jeder Felssims, der mehr als einer Gem-
se Platz bot, stel te ein Königreich dar. In den Spitzhornbergen gab es
Königreiche, die so klein waren, daß folgendes geschehen konnte: Wenn
sie von einem Drachen heimgesucht wurden und ein Held die Gefahr
bannte, und wenn ihn der König dafür mit der Hälfte des Reiches be-
lohnen mußte, wie es Paragraph drei der Heldengesetze verlangte – dann
blieb überhaupt kein Königreich mehr übrig. So fanden denn lange An-nexionskriege statt, weil jemand nach einem Platz suchte, wo er die Koh-
len aufbewahren konnte.
Lancre gehörte zu den größeren Königreichen. Immerhin konnte es
sich sogar ein stehendes Heer leisten.*
Könige, Königinnen und verschiedene Subformen der Aristokratie
strömten derzeit über die Lancrebrücke. Beobachtet wurden sie von ei-
nem verdrießlichen und tropfnassen Troll, der den Wachdienst für den
heutigen Tag aufgegeben hatte.
Die Türen des Großen Saals standen weit offen. Überal trieben sich
Jongleure und Feuerschlucker herum. Oben in der Bänkelsängergalerie
spielte ein kleines Orchester auf Instrumenten wie der einsaitigen Fiedel
von Lancre oder den berühmten Spitzhorn-Dudelsäcken. Glücklicher-
weise verloren sich die damit erzeugten Klänge im Lärm der Menge.
Nanny Ogg und Oma Wetterwachs waren ebenfal s im Großen Saal.
Da es sich um eine festliche Angelegenheit handelte, trug Nanny jetzt
nicht ihren schwarzen spitzen Hut, sondern einen anderen, der zwar die
gleiche Form hatte, dafür aber rot glänzte. Sehr dekorative Wachskir-
schen baumelten daran.
»Al e möglichen Leute sind hier«, freute sich Nanny und nahm ein Glas
von einem nahen Tablett. »Sogar einige Zauberer aus Ankh-Morpork,
hat mir unser Shawn gesagt. Er meinte, einer von ihnen hat gesagt, ich
hätte eine gute Figur. Leider wußte er nicht, wer das war.«
* Shawn Ogg.**
**Allerdings legte er sich manchmal hin.
»Muß an Geschmacksverirrung leiden«, murmelte Oma, doch es kam
nicht von Herzen. Es handelte sich nur um eine automatische Gemein-
heit. Nanny Oggs Besorgnis wuchs – irgend etwas schien ihre Freundin
zu belasten.
»Es gibt einige Herren und Herrinnen, die wir hier nicht sehen möchten«, sagte Oma Wetterwachs. »Ich werde erst dann erleichtert aufatmen,
wenn dies alles vorbei ist.«
Nanny Ogg reckte den Hals und bemühte sich, über den Kopf eines
kleinen Kaisers hinwegzublicken.
»Von Magrat ist weit und breit nichts zu sehen. Da drüben steht Ve-
rence und spricht mit einigen anderen Königen, aber Magrat ist nirgends
zu sehen. Unser Shawn hat gesagt, daß Millie Chillum meinte, heute
morgen sei sie das reinste Nervenbündel gewesen.«
»Al diese hochgeborenen Leute«, grummelte Oma und
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