Loretta Chase
er.
Ganz
beiläufig, als hätten sie nicht eben getan, was sie getan hatten, lehnte sie
sich neben ihn an den Tisch. Er konnte noch immer nicht fassen, was geschehen
war. Noch dazu im Küchenkorridor!
»Ich habe
alles ganz genau geplant, nur habe ich leider nicht damit gerechnet, dass
zwischen uns eine so unerfreuliche Anziehung bestünde«, sagte sie.
»Unerfreulich«,
wiederholte er.
»So
enervierend und schwer von Begriff du auch sein magst, bist du doch mein bester
Freund«, sagte sie. »Weder will ich dein Leben ruinieren, noch willst du das
meine ruinieren. Wir sind von so vielen beispielhaft guten Ehen umgeben. Meine
Mutter hat gar zweimal die Liebe ihres Lebens gefunden. Mir würde schon einmal
genügen. Dasselbe wünsche ich mir für dich. Aber du weißt ja selber, dass wir
niemals zusammenpassen würden. Nicht so.«
»Du liebe
Güte, nein.«
Sie
funkelte ihn an. »Ganz so begeistert hättest du mir nicht zustimmen müssen.«
»Es ist
eine Tatsache«, beschied er nüchtern. Das zumindest wusste er. Sie war ein
Wunder der Natur, eine Laune der Natur, aber das konnte man auch von
einem Wüstensturm sagen. Ebenso von Sintfluten und Erdbeben. Er war im Chaos
aufgewachsen. Rathbourne hatte Ordnung in sein Leben gebracht. Lisle brauchte
Ordnung. Er hatte die letzten Jahre damit zugebracht, sich ein geordnetes, wenn
auch bisweilen aufregendes Leben zu schaffen. Sein Glück war gewesen, dass er
früh schon wusste, was er wollte, und dieses Ziel dann stetig und beharrlich
verfolgt hatte.
Mit ihr
geriet alles wieder außer Kontrolle. Das Schlimmste war, dass er die
Kontrolle verlor. Man sehe sich nur an, was er getan hatte. Und das nicht zum
ersten Mal. »Nun denn«, sagte sie.
»Genau.« Er
stieß sich vom Tisch ab. »Ich werde jetzt aufs Dach steigen.«
»Aufs Dach!
Ich gebe zu, dass mein Plan ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist, aber es gibt
keinen Grund anzunehmen, dass wir die Lage nicht meistern werden.« Sie stieß
sich ebenfalls vom Tisch ab und folgte ihm. »Es ist nicht das Ende der Welt,
Lisle. Kein Grund, sich gleich vom Dach zu stürzen.«
Er blieb
stehen und starrte sie fassungslos an.
Dann sagte
er, sichtlich um Geduld bemüht: »Ich will mich nicht vom Dach stürzen, sondern
dort oben die Bestandsaufnahme der Bausubstanz abschließen. Wegen des Regens war
ich bislang nicht in der Lage, das Dach zu vermessen oder mir ein Bild von
seinem Zustand zu machen.«
»Ah«, sagte
sie und trat zwei Schritte zurück. »Na dann. Nur zu.«
»Mich vom
Dach stürzen«, brummelte er. »Also wirklich.«
»Du
schienst etwas außer dir.«
»Das könnte
daran liegen, dass ich nicht weiß, ob ich lachen, weinen oder mir die Haare
raufen soll«, entgegnete er. »Was ich jetzt brauche, ist Ruhe . Es ist
mir ein dringendes Bedürfnis, etwas sehr, sehr Langweiliges zu tun.«
Später am Abend
Obwohl es nicht unbedingt die Krönung
seiner Kochkunst war, gelang es Aillier doch, an diesem Abend ein Essen
auftragen zu lassen, das seiner durchaus würdig war. Es war die erste
anständige Mahlzeit, die Lisle seit seiner Abreise aus London vorgesetzt
bekommen hatte. Ein richtiges, zivilisiertes Abendessen an einem anständigen
Esstisch, mit Tischnachbarn, die zumindest halbwegs intelligente Konversation
boten. Es war zudem die erste Mahlzeit, der er auf einem der Familiensitze am
Kopf der Tafel vorsaß.
Als er und
die Damen sich schließlich von Tisch erhoben, um an den Kamin umzusiedeln,
hatte die Aufregung des Tages sich schon etwas gelegt. Wenn auch nicht ganz.
Dass er gegenüber Olivia derart die Beherrschung verloren hatte, setzte ihm
noch immer zu. Und wie er dank ihrer ominösen Idee bis zum Frühling
wieder in Ägypten
sein sollte, war ihm ehrlich gesagt auch nicht klar. Dennoch fühlte er sich nun
schon ruhiger, weshalb seine Flucht aufs Dach und die dort verrichtete
eintönige Arbeit sich mal wieder ausgezahlt hatte.
Arbeit war
sein Allheilmittel gegen Aufwallungen und Anwandlungen aller Art. Wenn er etwas
vermaß, notierte und skizzierte, fand er sich auf vertrautem, friedlichem
Terrain – sogar hier, in der halbverfallenen Düsternis von Gorewood mit seinem
abträglichen Klima.
Solcherart
auf Bewährtes konzentriert, hatten Aufruhr und Verärgerung sich bald gelegt.
Und derweil
er sich so langsam gefasst hatte, war ein Wirbelsturm namens Olivia über die
unteren Geschosse hinweggefegt. Sie, das Chaos in Person, hatte Ruhe geschaffen.
Und Ordnung.
Die
Dienstboten waren emsig am Werk, und alles ging
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