Loretta Chase
Gespensterspuren.
Keine irdischen schlammverkrusteten Fußabdrücke. Gar nichts.« Lady Coopers
Stimme brach den Bann. »Aber ich habe es doch gesehen, mein Kind, so klar und
deutlich wie am helllichten Tag.«
»Ich
zweifle nicht daran, dass Sie etwas gesehen haben«, sagte Olivia. »Vielleicht
ist ein Vogel durch eines der Fenster hereingeflogen. Auch könnte ein
Possenreißer den Weg ins Schloss gefunden und hier sein Unwesen getrieben
haben.«
Sie legte
eine Pause ein, um ihre Worte wirken zu lassen.
»Bailey«,
rief sie dann. »Bring mir einen Besen und ein großes Linnen.«
Während die
Dienerin der Erledigung ihres Auftrags nachging, wurde Lisle gewahr, dass die
Stimmung sich veränderte, die schreckstarre Angst sich langsam löste. Das
versteinerte Schweigen des Publikums wich einem leisen Murmeln und Raunen.
Binnen Minuten tauchte Bailey samt Besen und Linnen auf der Empore auf. Olivia
reichte ihr den Kandelaber und schickte sie wieder hinunter. Abermals lag die
Empore in Dunkelheit gehüllt.
Kurz darauf
hörte Lisle leises Rascheln. Dann bauschte und blähte sich etwas Weißes über
der Balustrade.
Reihum
wurde nach Luft geschnappt.
»Man
braucht nur hier an der Tür zu stehen, mit einem Stück Tuchs an einem langen
Stock«, drang Olivias Stimme aus dem Dunkel.
»Gütiger
Gott!«, schrie Lady Cooper.
Noch mehr
Gemurmel unter den Dienstboten. Dann leises Lachen.
Schließlich
meinte Lady Withcote, und ihr Triumph war kaum zu überhören: »Nun, das beweist
mal wieder, wie leicht man sich doch ins Bockshorn jagen lässt.«
»Aber wer tut
denn so etwas?«, fragte Lady Cooper entsetzt.
»Witzbolde«,
erwiderte Lady Withcote lakonisch. »Daran wird es der Welt niemals mangeln.«
So
plötzlich wie sie verschwunden war, tauchte Olivia wieder in ihrer Mitte auf.
Sie trat einen Schritt vor und drehte sich dann um, sodass der warme Schein des
Kaminfeuers sie von hinten anstrahlte.
Ein
dramatischer Effekt, sagte Lisle sich nüchtern, der dennoch seine Wirkung nicht
verfehlte. Ihm stockte der Atem. Wie ein überirdisches Wesen sah sie aus, wie
sie da vor dem majestätischen Kamin stand und der Feuerschein über ihre roten
Locken spielte, die milchig weiße Haut, den schweren Seidenbrokat ihres
Kleides.
Lisle sah,
dass sie weiter die Burgherrin zu geben gedachte, die Hände locker an der
Taille verschränkt, den Rücken kerzengerade.
»Es war nur
ein dummer Scherz«, tat sie kund. »Wahrscheinlich wollten ein paar Jungen aus
dem Dorf sich auf Kosten der Besucher aus London amüsieren. Es dürfte ihnen
ausgenommen lustig erschienen sein, uns in Angst und Schrecken zu versetzen.«
»Und wer
kann es ihnen verdenken?« Lady Withcote lachte. »Selbst du wirst zugeben müssen,
Agatha, dass es wirklich ausgesprochen komisch war. Hat mich ein bisschen an
den Schabernack erinnert, den Lord Thorogood mit seiner Gattin getrieben hat.
Weißt du noch?«
»Wie könnte
ich das vergessen? Es hieß, ihr Liebhaber sah sich eine ganze Woche lang
außerstande, so tief saß ihm der Schreck in den Knochen.«
Während die
alten Damen weiter in frivolen Erinnerungen schwelgten, schickte Olivia die
Dienstboten zurück an die Arbeit. Nichols und Bailey nahm sie beiseite und trug
ihnen auf, in allen Zimmern und Korridoren nachzusehen, was etwaige
Befürchtungen, es könnten noch immer Eindringlinge im Haus sein, zerstreuen
dürfte.
»Verfahrt
mit ihnen, wie ihr wollt – nur sorgt dafür, dass hier heute Nacht Ruhe und
Frieden herrschen«, beschied sie.
Bailey und
Nichols machten sich an die Arbeit.
Bald darauf
schwankten die alten Damen ihren Betten entgegen.
Was Olivia
und Lisle allein im großen Saal zurückließ.
Sie stand
noch immer vor dem Kamin und blickte ins Feuer. Der warme Schein ließ ihr Haar
golden glänzen und ihre Wangen rosig glühen. Nur sie anzusehen bereitete seinem
Herzen Pein.
Was soll
ich nur tun? dachte er. Was soll ich nur tun?
»Das war
sehr geistesgegenwärtig von dir«, sagte er schmunzelnd. »Binnen Minuten hattest
du alle wieder zur Vernunft gebracht.«
»Eine
meiner leichteren Übungen«, winkte sie ab. »Geister habe ich schon häufig
beschworen. Ich habe sogar Séancen durchgeführt. Das geht ganz einfach.«
»Will
sagen, deine kleine Darbietung hätte mich nicht überraschen sollen«, schloss
er. »Hat sie aber.«
»Du hast
hoffentlich nicht gedacht, dass ich an Gespenster glaube.«
»Du bist
romantisch.«
»Ja, aber
nicht dumm.«
Nein, weder
dumm noch naiv, noch unschuldig. Nichts
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