Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
einen wunden Punkt berührt.
Das freute sie. Sie hoffte, dass seine Erinnerungen ihm Schmerzen bereiteten, und sie drang weiter in ihn, weil sie hoffte, ihn noch tiefer verletzen zu können. »Nachdem Euer Vater gestorben ist, hat sie sich um den Besitz und um Euer Heim gekümmert. Ich wette, dass sie es war, die Prudence erzogen hat. Habe ich Recht?«
»Ja.«
»Ja«, äffte Clarice ihn höhnisch nach. »Und Ihr habt ihr niemals auch nur mit einem Wort gedankt oder sie ermuntert. Oder?«
»Nein.«
»Lady Millicent ist eine entzückende, charmante und sehr attraktive Frau, die hier in der Provinz lebendig begraben ist. Sie erfüllt ihre Pflicht, und niemand achtet auf sie, nicht einmal ihr Bruder, den sie verehrt.«
Hepburn sah kein bisschen schuldbewusst aus.
Natürlich nicht. Wenn er keine Gewissensbisse empfand, weil er eine Prinzessin erpresste, warum sollte er dann Schuldgefühle entwickeln, weil er seine Schwester so arrogant behandelte? »Ihr teilt ihr mit, dass Ihr einen Ball veranstalten wollt, und sofort stürzt sie sich in die Arbeit. Ihr gebt ihr nicht genug Zeit, den Ball zu planen, erlaubt den Ladys, zu früh zu kommen, obwohl sie dadurch doppelt so viel Arbeit hat, wie eigentlich nötig wäre...«
Er zog gleichgültig eine Braue hoch. »Ich dachte, sie würden ihr helfen.«
»Wenn Ihr unter Hilfe versteht, dass sie auf ihren gepolsterten Hintern hocken und Lady Millicent kritisieren, dann helfen sie ihr wahrlich brillant. Dieser Hühnerhaufen von jungen Ladys bedarf einer ordnenden Hand, sie wollen ständig unterhalten werden, und immer braucht eine von ihnen eine Schulter, an der sie sich ausheulen kann. Seit sie angekommen sind, hat Millicent keinen Tag eine trockene Schulter gehabt.«
»Sie sollte nicht so mitfühlend sein. Sie würden sich nicht mehr bei ihr ausheulen, wenn sie....«
»… sie zurückweist? Wie Euer Vater sie zurückgestoßen hat? Und wie Ihr selbst es getan habt? Das glaube ich nicht, Mylord. Dafür kennt Millicent den Schmerz viel zu gut, den eine solche Zurückweisung auslöst.« Drangen ihre Worte überhaupt zu ihm durch? »Sie sollte auf Eurem Ball tanzen, statt sich mit der Organisation herumzuquälen.«
Seine Antwort war die eines dummen, unsensiblen Mannes, der er ja auch war. »Sie tanzt nicht gern.«
»Ihr wollt sagen, niemand fordert sie zum Tanz auf. Wisst Ihr, warum das niemand tut?«
»Ihr werdet es mir sicher gleich sagen.«
»Irgendjemand muss das ja tun!« Clarice holte tief Luft, um sich zu beherrschen, aber sie verlor so selten ihre Kontrolle, dass es ihr unmöglich war, sich jetzt noch zu mäßigen. »Sie wird nicht aufgefordert, weil sie glaubt, dass sie unattraktiv ist und alle anderen derselben Überzeugung sind.« Clarice deutete mit dem Daumen auf ihre Brust. »Aber ich kann das ändern. Ich kann ihre Frisur und ihre Kleidung arrangieren, ich kann ihre Haut verschönern, und vor allem kann ich sie lehren, wie man geht und redet und lächelt. Und
soll ich Euch etwas verraten? Sie will es mir nicht erlauben! Wisst Ihr, warum?«
»Das werdet Ihr mir bestimmt auch gleich sagen.«
»Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, Millicent zur Frau zu nehmen, aber sie will sich von mir nicht helfen lassen, weil sie glaubt, sie wäre es nicht wert. Wessen Schuld ist das wohl, Mylord? Wer, denkt Ihr, ist dafür verantwortlich, hm?«
Hepburn beobachtete Clarice fasziniert, als wäre ihr empörtes Mitgefühl etwas ganz Absonderliches, das er nur schwer nachvollziehen konnte. »Ich bin sicher, dass Ihr mir dafür die Schuld gebt.«
»Vielleicht«, antwortete sie verächtlich, »solltet Ihr so tun, als wäre sie Eure Freundin, nicht Eure Schwester, und alles, was Ihr vermögt, versuchen, um ihr zu helfen.«
Doch er achtete nicht mehr auf sie. Dieser gefühllose Mistkerl schaute auf den Hügelkamm, als hätte dort etwas seine Aufmerksamkeit erregt.
Dann hörte Clarice es auch. Der Wind trug die schwachen Schreie zu ihnen heran. Das Donnern von Hufen. Und das scharfe, tödliche Geräusch eines Schusses.
»Die MacGees!« Hepburn wendete Helios und galoppierte den steilen Hang hinauf.
Clarice folgte ihm. Als sie den Kamm erreichte, entfaltete sich eine Szene wie aus einem Albtraum vor ihr. Wie aus ihren Albträumen von Krieg und Revolution in ihrem Heimatland. Und diese Albträume waren in diesem friedlichen Tal in Schottland zu grauenvollem Leben erweckt worden.
In dem Tal unter ihnen beschatteten zwei Apfelbäume eine winzige Bauernkate. Auf dem
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