Lotterie der Liebe
ihre Kinder der Obhut des unnachgiebigen Vaters überlassen hatte. “Lebt Ihre Mutter noch?”
“Ich glaube, ja. Jedenfalls habe ich nichts Gegenteiliges gehört.” Der Earl zuckte achtlos die Schultern. “Soweit ich weiß, befindet sie sich seit zwanzig Jahren in Italien, und ich habe die Übersicht darüber verloren, wie viele Liebhaber sie hatte. Mein Vater und ich reden mittlerweile nur dann miteinander, wenn er mir eine Moralpredigt hält oder versucht, mich zur Ehe zu bewegen.”
“Das klingt bedrückend. Haben Sie nicht den Wunsch, sich Ihrem Vater zu fügen?”
Jonathan warf Amy einen Blick zu. “Nein, nicht, was die Ehe betrifft. Eine Liebesheirat steht außer Frage, und es kommt mir gleichermaßen dumm vor, eine Zweckehe einzugehen, wenngleich ich damit rechne, dass ich mich eines Tages dazu durchringen werde.”
“Ich erinnere mich, dass Sie mir gesagt haben, Sie würden eine romantische Liebe für sentimental halten. Nur, weil Ihre Eltern unglücklich wurden, heißt das noch lange nicht …” Amy hielt inne, weil sie sich betroffen bewusst geworden war, dass es ihr nicht zustand, dem Earl Vorhaltungen zu machen. Sie hatte nicht genügend Lebenserfahrung. Zweifellos hatte der Vater ihre Mutter unglücklich gemacht, aber in ganz anderer Hinsicht. Dessen ungeachtet war die Liebe zwischen ihren Eltern nie infrage gestellt gewesen.
“Ich räume ein, dass es dumm von mir wäre, den Gedanken von vornherein von mir zu weisen, nur weil es bei meinen Eltern schief gegangen ist. So oberflächlich bin ich nicht, Miss Bainbridge, auch wenn ich so wirken mag. Trotzdem kann es Sie nicht überraschen, dass ich misstrauisch bin. Auf mich wirkt der Gedanke, in der Ehe mein Glück finden zu können, so abwegig, als würde man mir vorschlagen, ich solle zum Mond fliegen. Ich bin jedoch nicht so zynisch, um schlichtweg zu leugnen, dass es diese Möglichkeit für andere Menschen gibt. Selbst meine Schwester schien früher mit ihrem Mann ausgesprochen glücklich. Wissen Sie, Miss Bainbridge, meine Eltern haben mir einmal unabhängig voneinander denselben Rat gegeben. Das war an dem Tag, an dem meine Mutter uns verließ. Ich entsinne mich gut, obwohl ich damals erst sieben Jahre alt war. Mein Vater sagte, Liebe sei etwas für Toren. Meine Mutter hat das Gleiche behauptet. Ich nehme an, das habe ich mir zu Herzen genommen.” Er hielt inne und fuhr nach kurzer Pause fort: “Großer Gott! Das habe ich noch nie jemandem erzählt. Vermutlich sind es die wohltätigen Gedanken, die mich so weibisch gemacht haben.”
Eine Weile setzte man schweigend den Weg fort.
“Wollten Sie nie heiraten, Miss Bainbridge?” Die Stimme Seiner Lordschaft klang wieder wie sonst, kühl und etwas hart. “Das ist doch das erklärte Ziel einer jeden jungen Frau.”
“Der meisten”, räumte Amy ein. Ihre Grübchen wurden sichtbar, als sie lächelte. “Leider hat, natürlich von Mr. Hallam abgesehen, kein anderer Mann mich um meine Hand gebeten. Aber ja, ich wollte heiraten, als ich jünger war. Ich habe es sehr darauf angelegt, einen Ehemann zu finden. Ich dachte, dadurch bekäme ich ein geregeltes häusliches Leben.”
“Die wechselnde wirtschaftliche Situation Ihres Vaters muss sehr beängstigend gewesen sein”, meinte Jonathan. “Ich kann verstehen, dass ein ruhigeres Leben Ihnen verlockend erscheint.”
“Oh ja! Es hat mich sehr belastet, dass ich so häufig umziehen musste. Ich war in so vielen Mädchenpensionaten, dass ich einen Ratgeber über sie schreiben könnte. Als Ergebnis wurde meine Erziehung etwas vernachlässigt, und ich hatte nicht die Möglichkeit, all die Dinge zu lernen, die bei Frauen geschätzt werden. Ich kann beispielsweise nicht das Piano spielen, da ich nirgendwo üben konnte. Ich war überzeugt, das sei der Grund dafür, dass ich keinen Mann für mich interessieren konnte.”
Jonathan lachte. “Wenn Sie gesagt hätten, Miss Bainbridge, es hätte an der mangelnden Urteilsfähigkeit der Männer gelegen, wäre das der Wahrheit näher gekommen.”
Sie lächelte. “Vielen Dank. Das war ein sehr hübsches Kompliment, Sir. Aber jetzt spielt es keine Rolle mehr, denn ich bin unabhängig und habe die Sicherheit, nach der ich mich sehnte. Meiner Ansicht nach ist das viel besser.”
“Es mag noch andere Gründe geben, die für die Ehe sprechen”, bemerkte Jonathan nach einem Moment. “Die Gesellschaft, die Gemeinsamkeit, dieselben Interessen. Manchmal ist es langweilig, allein zu sein.”
“Das mag
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