Luc - Fesseln der Vergangenheit
jetzt nicht deinen Glauben.«
»Was ist denn passiert?«
»Er hat Jasmin geholfen und wurde von einer Kugel in den Oberschenkel getroffen. Geh mit deinem Kind in den Schatten. Ich komme zu dir, sobald ich Näheres weiß.«
Murats Frau umklammerte die Kette so fest, dass ihre Hand fast weiß wirkte, nickte aber und ging mit schleppenden Schritten zurück zu ihrem Haus.
Die Familie hatte schon genug durchgemacht. Es konnte und durfte nicht sein, dass Murat an den Folgen seiner mutigen Tat starb.
Besorgt ging Luc zurück, hielt aber genug Abstand, um Jasmin und Timothy nicht zu stören. Timothy sah kurz hoch. »Wir brauchen einen MedEvac, wenn du es hinbekommst.«
Luc hielt sich nicht mit einer Bestätigung auf, sondern sah Hamid auffordernd an, der so dicht neben ihm stand, dass sich ihre Schultern berührten. »Dein Handy. Sofort.«
Ohne Murat aus den Augen zu lassen, zerrte Hamid sein Mobiltelefon aus der Tasche an seinem Oberschenkel und reichte es Luc. Seine Augen weiteten sich, als Luc tatsächlich die Rettungskette der amerikanischen Streitkräfte anlaufen ließ und einen Hubschrauber anforderte, wobei er ausdrücklich betonte, dass es bei einer Operation der Spezialeinheiten einen verwundeten Soldaten gegeben hatte. So gut es ging, übermittelte er dem Arzt, mit dem er sofort verbunden wurde, die Einzelheiten, die Jasmin und Timothy ihm abwechselnd zuriefen. Durch das Telefon konnte er bereits das Geräusch des startenden Hubschraubers hören.
»Zwanzig Minuten«, rief er Jasmin zu, als das Gespräch endete. Sie nickte nur, aber Timothy stand auf und reckte sich, ehe er zu ihnen kam.
»Die Blutung haben wir gestoppt, aber es gibt ein gravierendes Problem. Die Kugel hat den Knochen denkbar ungünstig getroffen. Der ist nicht gebrochen, sondern stellenweise zertrümmert. Die Deutschen werden es in Kunduz hinbekommen, dass er überlebt, aber mit dem Bein wird er nie wieder laufen können und aus Angst vor Infektionen werden sie vermutlich eine Amputation vornehmen. Na ja, vornehmen müssen, meine ich.«
Hamid atmete scharf ein und Luc schluckte, ehe er über Timothys Worte nachdachte. »Heißt das, dass er in einem anderen Krankenhaus eine Chance hätte, das Bein zu behalten?«
»Theoretisch ja, aber es gibt weltweit nur wenige Kliniken, die das können. Das ist eine stundenlange Operation, die praktisch die ganze Zeit unterm Mikroskop stattfindet. Die Kosten sind enorm und der Ausgang ungewiss.«
»Die Kosten interessieren nicht. Wie wären seine Chancen?«
»Gut. Er ist körperlich in guter Verfassung und … «
»Das reicht. Du begleitest ihn. Ich arrangiere den Weitertransport über Ramstein nach Charleston. Die Unfallklinik dort ist auf solche Fälle vorbereitet.«
»Sekunde, Boss. Woher willst du wissen, dass sie ihn dort aufnehmen?«
»Das werden sie.« Dies war der falsche Zeitpunkt, um zu erklären, dass sein Vater dem Krankenhaus erst kürzlich den Bau eines neuen Flügels spendiert hatte. Bisher hatte er seine Beziehungen nie genutzt, aber für Murat würde er es tun. Er fuhr zu Hamid herum. »Ich fürchte, du musst mir noch einmal vertrauen. Rede mit Murat und seiner Frau. Du hast gehört, was ich vorhabe. Seine Frau und seine Tochter werden ihn nicht sofort begleiten können, aber ich sorge dafür, dass sie ihm mit dem nächsten möglichen Flieger folgen können. Sie werden in Amerika bei meinen paschtunischen Eltern eine Unterkunft finden und ich werde persönlich dafür sorgen, dass Murat die Behandlung bekommt, die er verdient.«
Hamids durchdringender Blick gefiel Luc nicht. »Du versprichst eine ganze Menge. Kannst du es halten?«
»Was meinst du? Ich kann dafür sorgen, dass er die bestmöglichste Versorgung erhält und dass seine Frau und seine Tochter als Gäste willkommen sind. Wenn du eine Garantie willst, dass er wieder gesund wird, muss ich dich enttäuschen.« Als Hamid ihn weiter schweigend ansah, begriff Luc mit Verspätung, in welche Richtung seine Gedanken sich bewegten. Genervt fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. »Ich sagte doch ausdrücklich, dass er Gast meiner Familie wäre. Dazu gehört dann auch, dass ich dafür sorgen werde, dass er von sämtlichen Behörden in Ruhe gelassen wird und jederzeit zu euch zurückkehren kann.«
»Dann stehe ich in deiner Schuld.«
»Tust du nicht, da er verletzt wurde, als er Jasmin beschützen wollte.«
»Eben. Sie ist meine Schwester.«
Luc kannte das schon von seiner afghanischen Familie. Die Ehrbegriffe der
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