Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Johan Söderlund überfahren hat?«
»Ja, wussten Sie das nicht?«
Sie klang ziemlich verwundert. Er schluckte, antwortete aber nicht auf ihre Frage.
»Danach ist er eklig geworden. Aber jetzt arbeitet er ja nicht, und darüber bin ich nur froh«, fuhr sie fort. »Wenn die Ärzte fies werden, geht es uns allen schlecht«, erklärte sie und holte tief Luft. »Bestimmt ist er krankgeschrieben worden, nachdem er mich angefaucht hat. Ich bin zu Rigmor Juttergren gegangen, und sie hat dafür gesorgt, dass er sich hat krankschreiben lassen, denn sie akzeptiert es nicht, wenn wir wie der letzte Dreck behandelt werden«, erklärte sie naseweis.
»Gut, dass Sie mir das erzählt haben«, lobte Claesson sie. »Wann ist er krankgeschrieben worden? Wissen Sie das noch? Sonst kann ich es auch auf andere Weise herauskriegen.«
Yvette schaute hinaus, legte die sauber geschrubbten Finger übereinander auf den Tisch, verschränkte sie, nahm sie wieder auseinander und schaute Claesson an.
»Das muss schon mindestens einen Monat her sein. Ich muss auf meinen Dienstplan gucken, und den habe ich nicht bei mir, aber ich kann Ihnen das später sagen.«
»Machen Sie das, rufen Sie mich an, wenn Sie etwas wissen.«
Wenn ich jetzt auch noch Doktor Hjort erwische, dann habe ich mein Soll für heute erfüllt, dachte Claesson und holte sein Handy heraus.
Hjort hatte das Krankenhaus noch nicht verlassen, er war noch auf einer der Stationen damit beschäftigt, seinen Arbeitstag zu beenden. Claesson war herzlich willkommen.
Er nahm für die vier Stockwerke den Fahrstuhl. Wenn es nicht so heiß gewesen wäre, wäre er die Treppen hochgestiegen. Aber das Training musste noch warten.
Die Innere Abteilung vier war eine gemischte Abteilung, unter anderem lagen auch Hjorts Lungenpatienten hier, die mit Asthma, chronischer Bronchitis, Lungenemphysem und Krebs. Die meisten waren starke Raucher, und merkwürdigerweise ließen sie davon nicht ab, obwohl ihre Lungenkapazität kaum zum Gehen reichte, aber wozu gab es denn Rollstühle.
Das gibt doch keinen Sinn, hatte Claesson gedacht, als Hjort ihm beim letzten Mal von seiner Arbeit erzählt hatte. Die Vorstellung, zu ersticken, keine Luft mehr zu bekommen, sich nicht bewegen zu können, weil der Sauerstoff nicht reichte, an einen Sauerstofftubus gebunden zu sein, war mehr als erschreckend.
Ihm fiel auf, dass die Flurwände eine andere Farbe hatten als auf Rigmors Station. Sie waren dunkler. Er erblickte zwei äußerst magere, klapprige Männer jeweils mit einer Sauerstoffhalterung in der Nase und dem durchsichtigen Schlauch, der zu einem Aggregat führte. Hier lebt man von Sauerstoff wie vom Essen und Trinken, dachte er in seiner medizinischen Unschuld. Sie ziehen diese lebensnotwendige, tragbare Luft hinter sich her, eingeschränkt und unfrei, während sie langsam mit Mäuseschritten den Flur entlangtattern.
Claesson schob seinen Kopf ins Schwesternzimmer und fragte nach Hjort, der, wie sich herausstellte, gleich nebenan saß. Ärzte stand auf dem Türschild. Er klopfte an und wurde hereingebeten.
Doktor Hjort war klein und untersetzt. Er hatte einen großen Kopf mit Speckfalten im Nacken, kurzem schwarzem Haar, einer undefinierbaren Kinnlinie und große, trockene Hände. Sein Blick war halb gesenkt. Er erinnerte an Karlsson vom Dach, ein ziemlich dicker kleiner Mann in seinen besten Jahren, dachte Claesson. In der einen Hand hatte er ein Diktafon, und vor ihm lag ein ungewöhnlich hoher Stapel brauner Pappmappen, die nichts anderes als Patientenberichte enthalten konnten.
»Sie sind noch nicht zum Computer übergegangen«, begann Claesson das Gespräch und setzte sich auf den Stuhl an der Stirnseite des Schreibtisches, der normalerweise von den Patienten benutzt wurde.
»Computerberichte meinen Sie«, fragte Hjort nach, und Claesson nickte. »Dann hätte man jedenfalls weniger zu schleppen, aber dafür bilde ich mir ein, dass man das Visuelle und Taktile verliert. Nehmen Sie nur hier die Patientenmappe«, fuhr er fort und nahm den obersten Wälzer, der so dick war, dass er kaum in seine große Hand passte. »Es genügt schon, die Mappe anzusehen, sie in der Hand abzuwägen, dann weiß man doch gleich, dass das kein Patient ist, den man mal eben in ein paar Minuten abfertigen kann. Jeder hat seine eigene Geschichte, und manchmal eine ziemlich lange. Natürlich erleichtert es die Arbeit, wenn die Patienten bei einem Arzt bleiben, wenn wir es schaffen, eine gewisse Kontinuität zu bewahren.
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