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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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sie schon immer länger und gleichmäßiger. Ich blickte ihnen nach. Meine Gedanken waren bei ihnen. Ich erinnerte mich an die Jahre, in denen ich mitgegangen war, um die wunderschönen leuchtenden Blumen zu pflücken, die in einer einzigen Nacht zum Leben kamen, ohne Blätter, fast ohne Stiel, wie Morgenreif oder wie Mondlicht. Niemand weiß heute noch, wie der Brauch, die Liebe mit einem Flahmen zu teilen, entstand, aber er ist in der Tradition unseres Volkes tief verwurzelt. »Wie schön, daß der Erntetag uns die Erinnerung an unsere Lieben zurückbringt.« Ich seufzte verträumt, während ich in der Küche stand und mit den Fingern schnalzte, um das Frühstücksgeschirr herbeizuholen. »Menschen, die man sonst völlig vergessen würde, kommen jedes Jahr so lebendig zurück –«
    »Ja«, sagte Chell und beobachtete, wie das Tischtuch aus dem Fenster schwebte, sich ausbreitete, so daß die Krumen zu Boden fielen. »Ja«, sagte ich, »die meisten von uns lernen einander am Erntetag kennen und entdecken dabei ihre Zuneigung.« Sie ergriff das zurückkehrende Tuch und legte es zusammen. »Ich hätte mir nie träumen lassen, als ich mit David noch Murmeln spielte, daß meine Liebe zu ihm an einem Erntetag einmal aufblühen würde.«
    »Wessen Liebe erblüht?« David kam durch die Tür herein. »Hast du vergessen, wie du ausgesehen hast, du meine Blüte? Knochige Knie, strähniges Haar, ein zahnloses Grinsen –!«
    »David, laß mich sofort herunter!« Chell schlug um sich, als sie sich plötzlich nach oben gehoben fühlte und fast die Decke berührte. »Wir sind zu alt für solchen Unsinn!«
    »Sieh zu, wie du selbst herunterkommst, meine Alte«, erwiderte er vom anderen Zimmer her. »Wenn ich für solchen Unsinn zu alt bin, dann bin ich auch zu alt, die behilflich zu sein.«
    »Macht nichts«, erwiderte sie. »Ich schaffe es schon allein.« Sie streckte die Hand zum Fenster hin und ergriff eine Handvoll der morgendlichen Sonne. Behutsam ließ sie sich wieder zu Boden und ging auf Zehenspitzen in den anliegenden Raum.
    Ich lächelte, als ich Davids Aufschrei und Chells anschließendes fröhliches Gelächter vernahm, aber mein Lächeln verwandelte sich in Traurigkeit. Ich lehnte mich mit den Armen auf das Fensterbrett und ließ meinen Blick über die vertraute Umgebung gleiten. Bevor Thann gerufen worden war, hatten wir so viele fröhliche Stunden auf den Wiesen, in den Himmeln und Wassern verbracht. Dies alles ringsherum war ein Teil unserer Heimat.
    »Aber er ist noch immer bei uns«, dachte ich. »Das Gras beugt sich noch immer zu seinen Füßen, die Blätter teilen sich vor ihm, das Wasser murmelt bei seiner Berührung, und mein Herz flüstert seinen Namen.«
    »Thann, Thann!« Ich unterdrückte die aufsteigenden Tränen und lächelte. »Manchmal frage ich mich, wie du wohl als Großvater gewesen wärst!« Ich stützte den Kopf in die Hände; dann machte ich mich daran, die Zimmer aufzuräumen. Diese Arbeiten lenkten mich etwas ab. Ich räumte sechs Paar Sandalen, die aus irgendeinem unergründlichen Grund über Simons Bett schwebten, beiseite.
     
    Das unbehagliche Gefühl, das wir schon am Morgen verspürt hatten, verstärkte sich im Lauf des Tages noch mehr, und wir Erwachsenen waren kaum überrascht, als die Kinder schon Stunden früher nach Hause kamen als gewöhnlich.
    Wir winkten ihnen von weitem grüßend zu, erhoben uns erwartungsvoll, um ihnen ihre fröhlichen Lasten tragen zu helfen, aber die Kinder beantworteten unsere Grüße nicht. Schwerfällig kamen sie auf das Haus zu.
    »Was wohl geschehen sein mag?« flüsterte Chell. »Hoffentlich hat Eva –«
    »Adonday veeah!« murmelte David, die Augen starr auf die Kinder gerichtet. »Irgend etwas stimmt nicht, aber Eva kann ich sehen!«
    »Hallo, ihr Kleinen«, rief er fröhlich. »Wie ist die Ernte dieses Jahr?«
    Die Kinder blieben stehen und drängten sich fast ängstlich aneinander. »Seht!« Davie hielt seinen Korb hoch. Darin lagen vier dürftige Failova . Kein Glitzern, Leuchten und keine strahlende Schönheit. Keine Blütenblätter, kein süßer Blumenduft. Nur ein stumpfes Glimmen, ein dürres Welken.
    »Das ist alles«, sagte Davie mit zitternder Stimme. »Das ist alles, was wir gefunden haben!« Er war verängstigt und wütend – wütend darüber, daß seine Welt es wagte, anders zu sein, als er es von ihr erwartet hatte, als er als selbstverständlich vorausgesetzt hatte.
    »Nein! Schaut her! Ich habe eine!« rief Eva. Sie hielt eine harte

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