Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
dritten Frau fertig waren und sich auf die vierte stürzten, hatte er dem dritten Opfer geholfen und versucht, seine Rolle in dieser Barbarei wieder gutzumachen. Sobald er die Frau in Sicherheit wusste, war er zum Bus geschlichen, das Gelächter und die Schreie noch in den Ohren.
Er wollte nicht mehr daran denken, zog die Knie an und schlang die Arme darum. Er musste sich irgendwie ablenken.
Er war nur einmal zuvor in Boston gewesen, als Eric noch hier studiert hatte. Das war einer ihrer letzten gemeinsamen Familienausflüge gewesen. Sie hatten im Radisson gewohnt, er mit Eric sogar in einem eigenen Zimmer. Dad hatte sie etwas beim Zimmerservice bestellen lassen, was sie glatt umgehauen hatte, weil er mit Geld immer so knauserte.
Sie waren bei einem Spiel der Red Sox gewesen und dann ihrer Mom zuliebe ins Metropolitan Museum gegangen. Nicht mal darüber hatten sie genörgelt. Es war einfach eine schöne Zeit gewesen. Einer der wenigen Ausflüge, die nicht irgendwie in einem Riesenkrach geendet hatten. Seither war Boston für ihn mit angenehmen Erinnerungen verbunden gewesen, die jetzt von Hilfeschreien und dem Gestank von warmem Bier überlagert wurden.
Er sprang in den Mittelgang, riss sich das T-Shirt herunter, rollte es zusammen und stieß es unter einen Sitz. Dann pellte er sich aus dem Rest seiner Kleidung, bis er nur noch in Jockeyshorts dastand. Da entdeckte er Brandon in der Bustür, der ihn anstarrte. Doch anstatt zornig zu werden begann Brandon zu lachen.
„Ich wusste es“, sagte er schließlich, als Justin wieder in die Jeans sprang. „Ich wusste, dass du nicht den Magen dafür hast. Du bist ein Feigling, genau wie dein beschissener Bruder Eric. Ich muss zurück und die Sache beenden wie ein richtiger Mann.“
Er wandte sich ab und ging Richtung Park.
50. KAPITEL
Ruhe. Er musste ruhig bleiben und die Substanz durch seine Adern kreisen lassen. Sollte sie ihren Zauber bewirken. Er spürte schon ihre Macht und die Zunahme seiner Stärke.
Nicht, dass er viel Körperkraft brauchte. Die Frau war zierlich und leicht zu ziehen. Und bei dem Lärm und der Aufregung dort drüben würde niemand das Rascheln der Blätter und das Knacken von Zweigen bemerken.
Aber er musste sich beeilen und ein abgelegeneres Gebiet finden. Die Sonne sank bereits hinter den Gebäuden. Ihm blieb nicht viel Zeit, alles aufzustellen und vorzubereiten. Heute würde es anders sein, er konnte es spüren. Heute war die Nacht. Irgendwie wusste er es.
Er hielt inne, drehte sich um und wartete, während er auf den halb nackten Körper der Frau starrte. Blätter und Zweige wurden zwischen ihren Beinen mitgeschleift. Lächelnd sah er endlich die entblößte Brust sich ganz leicht heben. Flache Atmung, kaum spürbar. Gut, sie lebte noch. Er zog sie weiter. Ja, heute Nacht würde es passieren, da war er ganz sicher. Heute Nacht würde er es endlich sehen.
51. KAPITEL
Maggie fuhr mit heruntergelassenem Fenster und hoffte, die frische Luft löse die innere Anspannung. Während der Fahrt dachte sie noch einmal über alles nach, was sie von der Frau namens Eve über Reverend Joseph Everett erfahren hatte. Sie wollte vorbereitet sein, ehe sie ihre Mutter mit dem Thema Everett konfrontierte. Und sie musste sich mit Fakten wappnen, falls Kathleen anfing, den Mann zu verteidigen, was sie zweifellos tun würde.
Sie ließ Eves erschreckende Erfahrungen und ihre Warnungen vor Everett zunächst außer Acht und konzentrierte sich auf harte Tatsachen. Das meiste davon waren biografische Daten. Als junger Mann war Everett aus der Army geflogen: ehrenhafte Entlassung ohne weitere Erklärung. Er war bei der Polizei nicht aktenkundig, mit Ausnahme der Anzeige wegen Vergewaltigung, die von der Journalistik-Studentin selbst später zurückgezogen worden war. Mit fünfunddreißig ließ er sich für den Senat von Virginia aufstellen und verlor. Drei Jahre später gründete er dann die Kirche der geistigen Freiheit, eine gemeinnützige Organisation, die es ihm erlaubte, Berge von steuerfreien Schenkungen anzunehmen. Everett fand schließlich seine Berufung, doch es gab nirgends einen Hinweis, wann und wo er tatsächlich als Prediger ordiniert worden war.
In weniger als zehn Jahren hatte die Kirche angeblich über fünfhundert Mitglieder gewonnen, von denen gut zweihundert in einem Lager in Virginias Shenandoah Valley lebten. Ironischerweise lag das Gebiet nur wenige Meilen von dem Ort entfernt, an dem die Journalistik-Studentin vor 27 Jahre vergewaltigt
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