Marc Levy
einem Lächeln, so zärtlich wie dieser Augenblick.
Lilis Hand verströmte einen Duft, der sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingegraben hatte. Eine Mischung aus verschiedenen Essenzen, die sie, an ihrem Toilettentischchen 129
sitzend, selbst zusammenstellte und sich jeden Morgen auf den Hals tupfte.
»Komm, mein Schatz, wir müssen mit der Sonne um die Wette laufen. Sei in fünf Minuten unten in der Küche.«
Der Junge war in eine alte Baumwollhose geschlüpft und hatte sich einen dicken Pullover über die Schultern geworfen.
Seine Mutter hatte ihm beigebracht, die Stille des Morgens nicht zu stören, und so hatte er sich schweigend angezogen.
Dann war er in seine Gummistiefel gestiegen, denn er wusste genau, was sie beide nach dem Frühstück tun würden. Als er fertig war, streckte er sich gähnend und ging in die große Küche hinunter.
»Sei schön leise, Antoine schläft noch.«
Von ihr hatte er auch seine Vorliebe für Kaffee, seinen Geschmack, vor allem aber seinen Duft.
»Geht's dir gut, mein kleiner Arthur?«
»Ja.«
»Dann mach deine Augen auf und schau dich um. Die schönen Erinnerungen muß man sorgsam bewahren. Präge dir die Farben und die Stoffe gut ein. Das hier wird deinen Geschmack und deine Sehnsüchte formen, wenn du erst ein Mann bist.«
»Aber ich bin ein Mann!«
»Ich wollte sagen, ein erwachsener Mann.«
»Sind wir Kinder denn so anders?«
»O ja! Wir Großen haben so viele Ängste, die die Kindheit noch nicht kennt.«
»Wovor hast du Angst?«
Sie erklärte ihm, dass die Erwachsenen vor allem möglichen Angst hätten, vor dem Altwerden, vor dem Sterben, Angst, dass sie nicht gelebt hatten, Angst vor Krankheiten, manchmal sogar vor dem Blick der Kinder oder davor, dass man über sie urteilte.
»Weißt du, warum wir beide uns so gut verstehen?
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Weil ich dich nicht belüge, weil ich mit dir spreche wie mit einem Erwachsenen, weil ich keine Angst habe. Ich vertraue dir. Die Erwachsenen haben Angst, weil sie es nicht verstehen, den Dingen ihre Bedeutung beizumessen. Das ist es, was ich dir beibringe. Wir erleben hier gerade einen schönen Augenblick, und vielerlei trägt dazu bei: wir beide, dieser Tisch, unser Gespräch, meine Hände, die du die ganze Zeit ansiehst, der Duft dieses Raumes, die vertraute Einrichtung, die Stille des erwachenden Tages.«
Sie hatte sich erhoben, die Milchschalen genommen und in die Spüle gestellt. Dann hatte sie den Tisch abgewischt und das kleine Häufchen Brotkrümel in ihre hohle Hand geschoben.
Neben der Tür hing ein Korb mit Ködern. Obenauf lagen, in ein Handtuch gerollt, Brot, Käse und Wurst. Lili nahm den Korb unter den Arm und fasste Arthur bei der Hand.
»Komm, mein Schatz, wir werden uns noch verspäten.«
Sie gingen zusammen den Weg zu dem kleinen Hafen hinunter.
»Sieh mal, all die Boote in ihren bunten Farben, wie ein Strauß Meerblumen.«
Arthur watete ins Wasser, löste den Kahn von seinem Ring und zog ihn ans Ufer. Lili stellte den Korb hinein und stieg ein.
»So, und nun rudere, mein Schatz!«
Der Junge legte sich in die Ruder, und das Boot entfernte sich vom Strand. Noch in Sichtweite der Küste holte er die Riemen ein und legte sie in den Kahn. Lili hatte schon die Köder aus dem Korb geholt und an den Haken befestigt. Wie gewöhnlich bereitete sie ihm nur die erste Angel vor; für alle weiteren würde er selbst den Wurm, der sich zu seinem großen Ekel in seinen Fingern wand, auf den Haken spießen müssen.
Er klemmte die Korkspule zwischen seinen Füßen fest, wickelte die Nylonschnur, die mit einem Bleisenker beschwert war, um seinen Zeigefinger und schleuderte sie weit von sich.
War die Stelle gut, so würde er sehr bald einen Fisch aus dem 131
Wasser ziehen.
Die beiden saßen sich seit einer Weile schweigend gegenüber, als Lili ihren Sohn eindringlich ansah und mit einem ungewöhnlichen Klang in der Stimme fragte: »Arthur, du weißt, dass ich nicht schwimmen kann. Was würdest du tun, wenn ich ins Wasser fallen würde?« - »Ich würde hinterher springen und dich rausholen«, antwortete das Kind. Da wurde Lili wütend: »Das ist Unsinn, was du da sagst!« Arthur erstarrte vor Schreck angesichts dieser heftigen Antwort.
»Du würdest versuchen, an Land zu rudern!«
Lili schrie ihn regelrecht an.
»Nur dein Leben ist wichtig, vergiss das nie, und maße dir niemals an, dieses einzigartige Geschenk aufs Spiel zu setzen.
Schwöre es!«
»Ich schwöre es«, erwiderte das Kind
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