Mariannes Traenen
Mitternacht kam er endlich zurück, beantwortete ihr aber keine Fragen. Auch ihr Angebot, ihm als Frau zu dienen, wies er höflich zurück. Er nahm sie nur in den Arm, um sie zu halten. Nach wenigen Minuten verrieten ihr seine regelmäßigen Atemzüge, daß er eingeschlafen war.
Sie selbst machte in dieser Nacht kaum ein Auge zu. Die Vorstellung, auf Befehl einer Frau, die sie zutiefst verachtete, fremden Männern gefügig sein zu müssen, geisterte in ihrem Kopf herum und raubte ihr Schlaf und Verstand gleichermaßen. Sie hatte das brennende Bedürfnis, mit Rudolf darüber zu reden; schließlich würde er der erste dieser Männer sein. Doch er schlief tief und fest. Morgen würde er es sein, dem sie sich unterwerfen mußte. Sicher würde er sie wieder schlagen, ganz bestimmt würde er sie in Svenjas Gegenwart betont geringschätzig behandeln und sie demonstrativ erniedrigen und demütigen, um ihre heimliche Komplizenschaft nicht zu verraten. Doch letztlich würde ihr Rudolf nichts nehmen, was sie ihm nicht schon freiwillig geschenkt hatte. Der Gedanke hatte etwas Beruhigendes. So würde sie ihm gehorsam dienen und die Erniedrigungen ertragen können. Svenja würde dabei sein, die Vorstellung fand sie entsetzlich. Ihretwegen würde sie Rudolf nicht zeigen dürfen, was sie wirklich für ihn empfand. Aber sie würde wenigstens nicht vergewaltigt werden.
Was empfand er für sie? Warum tat er das ? Zweifel überfielen sie immer wieder und ließen sie aus dem Halbschlaf hochschrecken. Wollte er ihr wirklich helfen? Oder nutzte er nur die Situation aus? Sein Gesicht war freundlich, aber er verriet mit keiner Miene, was er dachte. Er konnte so warme und liebevolle Augen haben – und einen Moment später waren sie grau, eiskalt und grausam. Seine Hände konnten so zärtlich und fürsorglich sein. Doch wenn sie die Peitsche führten, schnitt er damit in ihre Seele. Was fühlte er für sie? Marianne fand keine Antwort. Außer daß er der einzige war, der von ihrer Situation wußte und ihr zumindest half, sie einigermaßen zu ertragen und nicht dabei durchzudrehen. Auch wenn er dazu das schlimme Spiel ihrer beiden Erpresser mitspielen mußte. Ein fürchterlicher Verdacht beschlich sie. Ärgerlich schreckte sie hoch, schüttelte sich, wollte den Gedanken nicht dulden. Sie wollte ihm vertrauen, wollte um keinen Preis darin eine weitere Perfidie des Spieles sehen, zu dem man sie zwang. Sie wollte ihm vertrauen, und morgen abend würde sie es beweisen. Durch unbedingten Gehorsam. Eine andere Wahl hatte sie nicht. Wenn nur Svenja nicht dabei sein würde …
Erst früh am Morgen, als bereits die ersten Vögel erwachten, fiel sie in einen traumlosen Schlaf.
Doch er währte nicht lange. Pünktlich um acht Uhr wurde sie von heftigen Klopfgeräuschen und einem lauten Poltern geweckt. Offenbar wurden gerad eine paar schwere Gegenstände aus Zimmer 312 abgeholt.
KAPITEL 11
Sichtlich unausgeschlafen erschien sie zum Frühstück. Entgegen ihrer Gewohnheit bediente sie sich direkt am Gästebuffet und setzte sich mitten in den Speisesaal der Gäste an einen leeren Tisch – normalerweise eine absolute Unmöglichkeit. Sie ging sogar soweit, Elsa zu bitten, sie möge ihr ein Kännchen Kaffee bringen und ertrug es, von ihr mißtrauisch aus den Augenwinkeln beäugt zu werden, als sie das Kännchen vor Marianne hinstellte. „Mogst’a Bitschei ah?“, fragte Elsa knapp. Marianne hatte sich zwar einen Löffel vom Spiegelei aufgetan, hatte aber kein Brötchen dazu genommen. Elsa wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern stellte ihr mit einem knappen „Da host!“ einen Teller mit einem Brötchen und etwas Butter auf den Tisch. Im Zurückgehen bruddelte und schimpfte sie leise vor sich hin, doch Marianne war geistesabwesend, nahm keine Notiz von ihrer Umgebung. Sie bemerkte nicht einmal, wie ihre Tochter aus der Küche kam und mit Elsa redete.
„Morgen Mama!“ Marianne erschrak sich, als Kathrin sie auf die Wange küßte. „Brauchst nicht erschrecken, ich bin’s nur. Tu dir ja nix.“
Marianne lächelte schwach. „Hallo Kathrin “, sagte sie nur. Sie sprach leise; man konnte ihr die Müdigkeit anhören.
Kathrin setzte sich neben sie und betrachtete ihre Mutter mit ernstem Gesicht. „Mama, was ist eigentlich los mit dir?“, fragte sie endlich. „Seit gestern läufst du herum, als wäre dir im Keller der Leibhaftige begegnet.“ Sie wartete einen Moment, ob ihre Mutter vielleicht antworten wollte. Doch die wandte nur
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