Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
auseinander und hielt sie fest. Der Raum tobte, alle brüllten einschließlich Jackie, die schrie: »Weibsbild! Verfluchtes Weibsbild! Mörderin!« Und Maya hörte auch aus ihrer Kehle zwischen Atempausen Worte kommen wie: »Blöde Schlampe, du blöde kleine Schlampe!« Die Leute hielten ihr und auch Jackie die Hände vor den Mund und zischten: »Pst, pst! Still! Sie werden uns hören, sie werden uns melden. Die Polizei wird kommen!«
Endlich nahm Michel seine Hand von Mayas Mund, und sie fauchte ein letztes Mal: »Blöde kleine Schlampe!« Dann setzte sie sich wieder hin und sah sie alle mit einem scharfen Blick an, der traf und mindestens die Hälfte von ihnen zur Ruhe brachte. Jackie wurde freigelassen und fing an, leise zu fluchen. Maya fuhr so wild dazwischen: »Halt's Maul!«, daß Michel wieder zwischen sie trat. Flüsternd krächzte Maya: »Alle deine Boys am Schwanz herumziehen und sich einbilden, eine Führerin zu sein, und das ohne einen einzigen Gedanken in deinem leeren Kopf ...«
»Das höre ich mir nicht an!« schrie Jackie, und alle machten: »Psst!«, und sie rannte in den Gang hinaus. Das war ein Fehler, ein Rückzug; und Maya stand wieder auf und benutzte die Zeit, um die anderen mit aufreibendem Flüstern wegen ihrer Dummheit zu beschimpfen. Und dann, als sie ihr Temperament ein wenig im Griff hatte, plädierte sie dafür, Zeit zu gewinnen. Die quälende Schärfe ihrer Wut lag knapp unter der Oberfläche einer rationalen Bitte um Geduld, Zielstrebigkeit und Beherrschung - ein Argument, das keiner Antwort bedurfte. Während dieser ganzen Beschwörung starrten sie natürlich alle im Raum an, als wäre sie eine blutige Gladiatorin, wirklich die Schwarze Witwe. Und da ihr die Zähne weh taten, weil sie sie in Jackies Arm geschlagen hatte, konnte sie kaum den Anspruch erheben, das perfekte Muster einer intelligenten Diskussionsteilnehmerin zu sein. Sie fühlte, ihr Mund müsse geschwollen sein, so sehr pochte er; und sie kämpfte gegen ein zunehmendes Gefühl von Erniedrigung an und machte weiter, kühl, leidenschaftlich und anmaßend. Das Meeting endete mit einer trüben und größtenteils nicht ausgesprochenen Übereinkunft, jeden Massenaufstand zu verschieben und weiterhin unten zu bleiben.
Als nächstes erinnerte sie sich, auf einen Sitz in der Straßenbahn geplumpst zu sein zwischen Michel und Spencer und versucht zu haben, nicht zu weinen. Sie würden Jackie und den Rest ihrer Gruppe aufnehmen müssen, solange sie in Odessa waren. Schließlich war ihr Haus ja sicher. Es war also eine Situation, in der sie nicht entkommen konnte. Inzwischen würden Polizeibeamte vor der Versorgungsfabrik und den Büros der Stadt stehen und die Handgelenke kontrollieren, ehe sie Leute einließen. Wenn sie nicht wieder zur Arbeit ginge, könnte man sehr wohl versuchen, ihr nachzuspüren und nach dem Grund zu fragen; wenn sie aber zur Arbeit ginge und kontrolliert würde, war es nicht sicher, ob ihre Identifikation auf dem Handgelenk und ihr Schweizer Paß ausreichen würden, daß man sie passieren lassen würde. Es gab Gerüchte, daß die nach '61 erfolgte Balkanisierung von Information allmählich auf größere integrierte Systeme zurückgeführt würde, die einige Vorkriegsdaten bewahrt hatten. Darum die Forderung neuer Pässe. Und falls sie in eines dieser Systeme geriete, wäre sie geliefert. Man würde sie nach den Asteroiden oder Kasei Vallis verfrachten, foltern und ihren Geist zerstören wie bei Sax. »Vielleicht ist es an der Zeit«, sagte sie zu Michel und Spencer. »Wenn sie alle Städte und Strecken blockieren, was haben wir da für eine Wahl?«
Sie antworteten nicht. Sie wußten ebenso wenig, was zu tun wäre, wie sie selbst. Plötzlich schien das ganze Unabhängigkeitsprojekt wieder ein Phantasiegebilde zu sein, ein Traum, der jetzt genauso unmöglich war wie damals, als Arkady dafür eingetreten war. Arkady, der so fröhlich gewesen war und so sehr im Unrecht. Sie würden nie von der Erde frei sein - nie. Sie waren da hilflos.
»Ich möchte erst mit Sax sprechen«, sagte Spencer.
»Und Cojote«, sagte Michel. »Ich muß ihn noch nach mehr von dem fragen, was in Sabishii geschehen ist.«
»Und Nadia«, sagte Maya beklommen. Nadia hätte sich für sie geschämt, wenn sie sie bei dieser Versammlung gesehen hätte. Und das tat weh. Sie brauchte Nadia, die einzige Person auf dem Mars, deren Urteil sie noch vertraute.
Als sie die Straßenbahnen wechselten, beklagte sich Spencer Michel gegenüber:
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