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mayday mayday ... eastern wings 610

mayday mayday ... eastern wings 610

Titel: mayday mayday ... eastern wings 610 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Maggikraut und Schnittlauch. Die Pflänzchen ließen die Köpfe hängen. Im Nachbargrundstück rumorte es. Zuerst sah er einen gebückten Rücken, dann weißes Haar. Es war der alte Herr Oswald, der Nachbar.
    »Hat seit Tagen nicht geregnet, Herr Brückner.«
    »Ja.«
    »Weiß gar nicht, was mit diesem Herbst los ist. Sie merken so was natürlich nicht, wo Sie doch immer über den Wolken sind. Aber die Anja, die war auch nicht da.«
    »Ja.« Er nickte, versuchte zu lächeln und den Impuls niederzukämpfen, ins Haus zurückzurennen. Statt dessen nahm er den Schlauch und begann damit, die Pflanzen zu besprühen.
    Himmelherrgott! Dabei hat Oswald die Meldungen gelesen, die Bilder gesehen. Muß er ja! Aber daß Anja dabei war …
    Er weiß es nicht.
    Zurück in der Küche, wollte er sich eine neue Tasse Kaffee aufbrühen.
    Er überlegte es sich und ging ins Bad. Er schaltete die beiden Beckenleuchten ein, ließ das Wasser einlaufen, hielt die Hände und Handgelenke darunter und starrte erschrocken in den Spiegel. Was hatte sein Gesicht derart verändert? Es war nicht nur das Gesicht eines Fremden, sondern eines Kranken. Es sah aus, als habe sich der Maskenbildner eines Horrorfilms über ihn hergemacht: Die Haare standen in wilden Büscheln vom Kopf, die Stirne war fahlgelb und von Furchen durchschnitten, die Lider rot verschwollen, und unter den starren Augen hingen dunkle Tränensäcke. Irgend etwas, vielleicht eine Bettkante oder die eigene Hand, hatte tiefe Striemen an Hals, Kinn und Wange hinterlassen.
    Er beugte sich über das Waschbecken. Unter den Händen war die Kühle des Porzellans. Er mußte sich festhalten, um die plötzliche Schwäche niederzukämpfen. Er griff nach dem Rasierapparat. Anja hatte ihn ihm zu Weihnachten geschenkt. Anja … Er riß sich das Joggingoberteil vom Körper, zog die Hose aus, ließ beides fallen und ging zur Dusche. Rechts und links des Spiegels hingen zwei Kinderbilder. Das eine zeigte einen großen blauen Vogel mit langen rosa Schwanzfedern und dunklen Augen. Das andere ein Haus auf einem Hügel über einem blauen See. Über dem Haus lachte eine Sonne. Der blaue Vogel starrte ihn an.
    Ihre Bilder und die Bilder der Kinder, an deren Fortschritten sie so viel Freude gehabt hatte! Von denen sie oft wie im Fieber erzählte, während er sich langweilte. Die Bilder waren schlimmer als all ihre Kleider, die noch in den Schränken herumhängen mochten.
    Er ließ das Wasser der Dusche auf sich niederprasseln. Zuerst heiß, so heiß er es überhaupt ertragen konnte, dann kalt. Unter dem eisigen Peitschen fühlte er, wie sein Zustand sich besserte. Er stieg aus der Kabine, griff nach dem Handtuch und erstarrte.
    Die Tür hatte sich geöffnet.
    In ihrem Rahmen stand ein Mädchen.
    Sie war groß, schlank und trug weiße Jeans zu einem dunkelblauen, leichten Baumwollpullover. Ihre hellen Augen beobachteten völlig ungerührt, wie er sich hastig das Handtuch um die Hüften schlang.
    Das Mädchen war Christa, seine Tochter.
    »Ich dachte nicht, daß du da bist. Aber dann habe ich dein Auto gesehen.«
    Gut, es war Christa. Und er liebte sie. Aber jetzt?
    »Kannst du mir bitte meinen Bademantel geben?«
    Sie rührte sich nicht. Sie war groß, größer als ihre Mutter.
    »Paul«, sagte sie mit leiser Stimme, »es ist alles so …«
    »Ja, ich weiß. Aber du wolltest mir meinen Bademantel geben. Bitte.«
    Sie holte den Mantel aus dem Schrank und warf ihn ihrem Vater zu. Sie hatte die Zähne in die Unterlippe gegraben und sah aus wie ein verzweifeltes Kind.
    »Ich kann es einfach nicht fassen«, flüsterte sie. »Mein Gott!«
    »Ich fürchte, den müssen wir aus dem Spiel lassen.«
    »Papa …« Sie schluchzte leise.
    »Komm«, sagte er.
    Sie warf ihre Arme um seine Schultern und grub ihren Kopf in seinen Hals.
    »Warum nur?« seufzte sie. »Warum?«
    Ja, warum? Aber dieses ewige Warum hatte ihn nicht weitergebracht. Dabei wußte er, daß er nicht eher Ruhe finden würde, als bis er die Antwort in den Händen hielt.
    Sie zitterte, und er strich über ihr Haar.
    »Papa, ich wollte ihr doch noch so viel sagen. Und jetzt kann ich's nicht mehr.«
    »Ich auch.« Er streichelte sie sanft. Sie tat ihm leid, er tat sich leid – half es ihnen weiter? »Bitte, Kleines, geh in die Küche.«
    Wie so viele Scheidungskinder hatte auch Christa zunächst alle Verantwortung für den Zusammenbruch ihrer Welt der Nachfolgerin ihrer Mutter zugeschoben. Als er sich von Barbara trennte, war sie vierzehn. Später begann der

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