Mayday
trockene Kehle. Da er seine Finger bewegen konnte, hatte er sich nichts gebrochen. Aber er würde vorsichtiger sein müssen, denn falls er sich verletzte, war er wehrlos. Er mußte sich möglichst rasch irgendeine Waffe verschaffen – am besten auch eine für Linda.
Er atmete tief durch. »Halt die Augen offen«, forderte er sie auf. »Paß gut auf!«
»Okay«, antwortete sie.
Sie stiegen die Wendeltreppe in den Salon hinauf. Die Stufen knarrten vernehmlich.
Nach dem Tollhaus in der Hauptkabine schien oben im Salon geradezu paradiesische Ruhe zu herrschen. Abgesehen von den an ihren Fächern herabhängenden Sauerstoffmasken wirkte auf den ersten Blick alles ganz normal. Aber als sie durch den Salon gingen, wurden die Anomalien offenkundig.
Berry zählte neun Menschen im Salon, von denen jedoch nur zwei – eine Stewardess und eine ältere Frau – bei Bewußtsein zu sein schienen. Die Stewardess lehnte an der Bar und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. In ihren Augen stand ein wahnsinniger Ausdruck, und sie mußte sich an der Theke festhalten, um nicht zu fallen. Berry las auf ihrem Namensschild, daß sie Terri O’Neil hieß. Vor einer guten halben Stunde war sie noch mit einem Tablett an ihm vorbeigegangen; jetzt konnte sie sich kaum mehr auf den Beinen halten.
Die ältere Frau kauerte auf der anderen Seite des Salons neben ihrem Mann, der tot über einem der niedrigen Tische lag. Sie streichelte seinen Kopf und sang eine einfältige kleine Melodie. Berry wandte sich ab.
Auf der hufeisenförmigen Couch in der Nähe des Klaviers saßen drei Männer und zwei Frauen. Sie trugen Sauerstoffmasken, schienen aber bewußtlos zu sein. Ein durch seine schwarze Brille als Blinder ausgewiesener Mann saß in ihrer Nähe und hatte anscheinend vergeblich nach der dicht neben ihm herabhängenden Sauerstoffmaske gegriffen. Er war tot.
Durch die offene Cockpittür sah Berry, daß die Besatzungsmitglieder zusammengesunken auf ihren Plätzen saßen. Er ging langsam auf sie zu. Schließlich gab er sich einen Ruck und betrat das Cockpit. Die drei Männer waren bewußtlos. Reiß dich zusammen, ermahnte Berry sich. Er zeigte auf die Konsole zwischen den beiden Piloten. »Die Maschine fliegt automatisch«, erklärte er Linda, die dicht hinter ihm stand.
Das Mädchen nickte. Es sah sich im Cockpit um und starrte Carl Fessler an, der leblos an seinem Platz zusammengebrochen war. Dann wich es einen Schritt vor ihm zurück.
Berry achtete kaum auf Linda. Er hatte Fesslers Zustand auf den ersten Blick richtig beurteilt, weil er sah, daß der Mann keine Sauerstoffmaske trug. Ihm ging es in erster Linie um den Captain, der mit angelegter Maske auf dem linken Pilotenplatz saß. Berry trat auf den Mann zu und versuchte, ihn wachzurütteln. Ihr Leben hing davon ab, ob ihm das gelang. Captain Alan Stuart atmete, aber sein Zustand war komatös. Berry sah langsam ein, daß ihm nicht zu helfen war. Mit dieser Tatsache mußten sie sich abfinden.
Der Kopilot war ebenfalls bewußtlos. Das bedeutete, daß niemand mehr da war, der die Straton 797 fliegen konnte.
John Berry sah sich in dem mit Schaltern und Instrumenten vollgepflasterten Cockpit um. Er erkannte einige Bordinstrumente wieder, aber ganze Reihen waren ihm ein Rätsel. Der Unterschied zwischen diesem Verkehrsflugzeug und seiner Skymaster war so groß wie zwischen der Straton 797 und einer Raumkapsel. Alle drei hatten lediglich gemeinsam, daß sie Luftfahrzeuge waren. Und Berry war sich darüber im klaren, daß er diese riesige Maschine nicht fliegen konnte …
Der Kopilot bewegte sich. Sein linker Arm fiel auf die Konsole zwischen den Sitzen. Berry hielt den Atem an, während er darauf wartete, ob etwas passieren würde. Falls der Mann sich erneut bewegte, konnte er unabsichtlich den Autopiloten ausschalten oder ihren stabilen Flugzustand sonstwie gefährden. Berry wußte, daß er keine Chance hätte, sich rasch in diesem Gewirr aus Knöpfen und Schaltern zurechtzufinden.
»Schnell, hilf mir, ihn aus dem Sitz zu ziehen!« forderte er Linda auf. Sie griff unbeholfen nach den Beinen des Kopiloten, während Berry ihn unter den Achseln faßte und aus seinem Sessel hob.
»Paß auf, damit er nicht an die Schalter kommt!«
»Gut, ich passe auf.« Sie hob McVarys Beine über die Mittelkonsole. Dann schleppte Berry den Kopiloten rückwärtsgehend in den Salon hinaus.
»Ist er krank?« fragte Linda Farley. Sie sah, daß er nicht tot war. Er atmete und bewegte ab und zu den Kopf,
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