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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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ab, aus ihr wurde Öl gepresst, und von der Produktion standen uns einige Flaschen zu. Von der leichten Giftigkeit wussten wir nichts. Die dreikantigen Früchte der Rotbuche waren von einer braunen Schale umgeben. Und sie saßen in einem struppigen Fruchtbecher. Diese Bucheckern waren in meinen Augen mehr als Früchte, sie verschwammen in meiner Vorstellung mit den Maikäfern, die wir im Frühjahr von den Bäumen schüttelten, um unsere Sammlungen anzulegen. Spielkameraden bissen ihnen den Kopf ab und schwärmten vom nussigen Geschmack. In Zigarrenschachteln machten wir Löcher in den Deckel und versuchten, möglichst viele Käfer aufzulesen. Dann legte ich das Ohr auf die Kiste, hörte verzückt dem Brummen zu und inhalierte ihren unverkennbaren, widerlich-erregenden Geruch. Ich ließ sie am Hals und auf dem Rücken der anderen krabbeln. Wir wussten viel über den Käfer, die Engerlinge und den Unterschied in der Anordnung der kitzligen Fühler. Die der Männchen waren länger als die der Weibchen. Wem es gar gelang, einen der seltenen Maikäferkönige zu fangen, der stand in hoher Achtung und wurde beneidet. Der König hatte anstelle des schwarzen ein rotgoldenes Halsschild, an das sich ein rotes Fell anschloss. Nur ungern waren wir bereit, unsere Schätze zu opfern und sie den Nachbarn als Hühnerfutter zu überlassen. Im übrigen erlebten wir mit, dass die Schalen der Eier diaphan und elastisch wurden, wenn man den Hennen zu viele Käfer vorwarf.
    Wir hungerten uns durch, wie viele andere auch. Ab und zu brachte mein Vater von einem Dorf, in dem er Klavierunterricht gab, ein paar Eier oder einen Liter Milch mit. Beim Abendessen hatte ich eine Lösung gefunden, um das wenige so zu arrangieren, dass ich wenigstens in der Illusion eines kulinarischen Höhepunkts leben konnte. Die winzige Ration Butter, die jedem in der Familie zustand, verteilte ich auf dem Brot derart haushälterisch und gewitzt, dass beim Essen der Genuss in ein leichtes, aber spürbares Crescendo überzugehen vermochte. Ich brachte es dabei zu einer Fertigkeit, die mich nachträglich an Mozarts frühes Klavierstück »Das Butterbrot« denken ließ, wo im Glissando der rechten Hand das Bestreichen des Brotes hörbar wird. Der flüchtige Butterbelag ging nach und nach in einen pastoseren Auftrag über, der sich schließlich zu absolut unbekannter Üppigkeit steigerte. Ich hatte auf diese Weise eine Art von teleologischem Essen erfunden, bei dem alles auf den letzten, unübertrefflichen, konkurrenzlosen Bissen ausgerichtet blieb. Dieser war das Ziel der Organisation und der Disziplin des Essers, und auf ihn freute er sich von Anfang an. Auch meine Geschwister bewunderten dieses Spiel, eine Mischung aus Askese und Illusion. Die Stiefmutter sah das alles mit an, und in dem Moment, da ich, als kniete ich an der Kommunionbank, den opulenten Abschlussbissen voller Andacht in den Mund stecken wollte, entriss sie ihn mir und schleuderte ihn durchs Fenster in den Garten. Den Rest des Butterbrots warf sie dem Hund der Nachbarfamilie zu. Keiner wagte etwas zu sagen, auch mein Vater war zu feige dazu. Oder es war einfach Hoffnungslosigkeit und Angst. Der traurige Golo, den die Frau Grimmer im Nebenhaus immer böse behandelte, sollte davon profitieren. Das konnte ich noch hinnehmen. Ich hatte nicht zuletzt mit ansehen müssen, wie die Nachbarin das Tier mit Prügel dazu zwang, auf der Treppe im Haus sein Erbrochenes wieder aufzufressen. Golo war der einzige Hund, vor dem ich mich nicht fürchtete. Alle anderen größeren Doggen in der Nachbarschaft witterten meine Angst und warfen mich zu Boden. Eine lag wüst bellend bei den Bauern, unseren Nachbarn, an der Kette. Eines Tages ging ich auf den Hund zu, um ihm einen Knochen zu geben. Er schnappte nach mir und biss mich in die Hand. Die Narbe ist geblieben. Ich kam mir bei diesem Vorfall wie ein Hund vor, der selbst nicht beißen konnte. Die Rache, die ich nehmen konnte: In einem Käfig unter der Terrasse des Hauses hielt ich zwei grau-weiße Kaninchen, denen ich Gras und gelbe Rüben zu fressen gab. Ein Nachbar hatte sie mir geschenkt. Es waren meine Spielkameraden, und als die Stiefmutter einmal eine Andeutung machte, sie bald dem Metzger bringen zu wollen, öffnete ich abends den Verschlag, und die Hasen waren über Nacht verschwunden. Natürlich hat mir diese Befreiung meiner Freunde zusätzlichen Ärger eingebracht.
    Ich habe lange gerätselt, was hinter diesem gefühllosen, harten Verhalten der neuen Frau

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