Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Ottos Freilassung nach Jütland oder meine sichere Passage nach Schweden.
Leider habe ich noch keine Ahnung, wie ich diese Dokumente beschaffen soll.
Meine große Schwierigkeit ist die, daß ich niemandem trauen kann. Der dänische Hof ist ein Hexenkessel der Bosheit und Gehässigkeit, und ich weiß, daß alle, die dem König dienen, mich in ihrem tiefsten Innern am liebsten bei lebendigem Leibe kochen und aus meinen Knochen Kleister machen würden. Es ist möglich, daß sich nun sogar mein einstiger Bote James, der Tennispunktezähler, der früher alles tat, was ich ihn hieß, gegen mich gewandt hat, weil ich auf so demütigende Weise von Rosenborg vertrieben worden bin. Aus Angst, daß dies so sein könnte, wage ich es nicht, ihm zu schreiben. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß allein schon der Name Kirsten in Kopenhagen ein verbotenes Wort geworden ist und daß sich die, die über mich sprechen wollen, neue Bezeichnungen für mich ausdenken müssen, wie »Die große Ehebrecherin« oder »Die Hure des Grafen vom Rhein« oder »Jene, die im Fischwagen geflüchtet ist«.
Die ganze Schadenfreude über meinen Weggang kümmert mich kein Jota. Was mich einstmals in Rage versetzen und zum Weinen bringen konnte, ruft in meinem Herzen nur noch eine hübsche Gleichgültigkeit hervor. Ich bin froh, nicht mehr im Palast, sondern in Jütland zu sein, wo es sehr still ist, niemand heftig und wütend lärmt und mich nachts nur der Wind in den Bäumen wach hält. Ich möchte behaupten, daß ich einigermaßen glücklich sein könnte, wenn ich nicht so einsam in meinem Bett wäre. Ich muß einfach einen Weg finden, um mit König Gustav über Otto zu verhandeln. Zu meiner Mutter habe ich gesagt: »Wenn mein Geliebter hierher zu mir kommen kann, dann brauchen wir dieses Haus – für uns und unser Kind. Du mußt dann in eine andere Unterkunft auf dem Anwesen umziehen.«
Es bringt sie auf, wenn ich zu ihr sage, daß ich ein Land- oder Bauernhaus für ihre Bedürfnisse und die ihrer Lieblingsfrau Vibeke für völlig ausreichend halte. »Kirsten«, erwidert sie dann, »Boller gehört mir, und du wirst mich nicht wegjagen!« Doch ich erwidere daraufhin, daß ich dem Gesetz nach noch die Gemahlin des Königs bin, was bedeutet, beinahe Königin, und daher tun und lassen kann, was ich will, und mir gehorcht werden muß. Sie gerät dann in Wut und erklärt mir, ich sei schon immer hartherzig gewesen, worauf ich nur erwidere, daß man als Frau in dieser Welt so sein muß, wenn man nicht zugrunde gehen will. Und darauf hat sie natürlich keine Antwort.
Meine Zimmer hier sind einigermaßen groß und hell, doch gibt es in ihnen für meinen Geschmack und meine innere Ausgeglichenheit bei weitem nicht genug Möbel oder Wertgegenstände. Daher habe ich dem König geschrieben und ihn – der mich wie eine gemeine Metze behandelt hat – gebeten, »mir ein paar Luxusgegenstände zu schicken, damit ich nicht immer so melancholischer Verfassung bin«. Ich habe dieses Briefchen mit »Deine liebe Maus« unterzeichnet, in der Hoffnung, daß allein dies ihn freundlich genug stimmt, um mir meinen Frisiertisch aus Ebenholz, meine beiden silbernen Spiegel, meinen französischen Walnußschrank, meine goldene holländische Uhr, meine Ölgemälde mit den Blumen, meine flämischen Tapisserien, meine Fächer-sammlung und meine bronzene Achillesstatue zu senden.
Ich habe ihn auch gebeten, mir Geld zukommen zu lassen, damit ich nicht »eine arme Maus in der Spülküche meiner Mutter« bin, und ihn angefleht – was mir in meinen einsamen Nächten, als der Wind seufzte und ein ferner Vogel im Glauben, es sei Frühling, seiner Brust einen Lockruf entweichen ließ, noch nachträglich einfiel –, mir meine Sklaven Samuel und Emmanuel nach Boller zu schicken. Ich habe erklärt, ich wolle sie hier haben, »damit ich wenigstens nett bedient werde und den Kopf hochhalten kann, jetzt, da ich so tief gesunken bin«. Ich gestehe jedoch ein, daß ich sie bei mir auf Boller haben will, damit ich, wenn ich schon nicht zu meinem Otto in Schweden kann, wenigstens ein paar Liebesabenteuer mit meinen schwarzen Knaben erleben kann.
Ich finde nichts dabei. Mit meinem schon von Otto dicken Bauch gehe ich kein Risiko ein, ein Kind zu empfangen, das vielleicht die Farbe eines Walnußschranks hat. Kirsten kann nicht leben, wenn ihre Bedürfnisse nicht sehr oft befriedigt werden – so ist sie nun mal und kann das nicht ändern, und ich möchte behaupten, daß dies immer so sein
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