Mit Familienanschluß
Roter zur rechten Zeit reinige das Innere mit wohltuender Milde.
Hermann Wolters gehörte zur Kategorie derer, bei denen Rotwein wie ein Laxativ wirkt. Als fränkischer Biertrinker nahm er nur in besonderen Fällen Wein zu sich – und dann nur einen guten Weißwein von den Hängen des Mains. Bei dem Genuß von Rotwein, vor allem jetzt bei dem süffigen Chianti, begann bei ihm eine interne Nachgärung. Die wiederum hatte zur Folge, daß er in der Nacht erwachte, von einem ununterdrückbaren Drang hochgejagt.
Er kletterte aus dem Bett, blickte auf seine Armbanduhr, die neben ihm auf dem Nachttisch lag, und stellte fest, daß es drei Uhr neunundzwanzig war. Eine helle Nacht, in der man schon am Horizont den Morgen ahnen konnte. Aus der unendlichen Ferne des Himmels glitt bereits Licht über das Firmament.
Wolters tappte zur Toilette, erschrak über einige zu laute Töne, die in der völligen Stille wie Böllerschüsse klangen, auch die Wasserspülung rauschte lärmend durch das schlafende Haus, denn nachts war der Druck besonders stark, dann schlich er auf nackten Sohlen zurück, warf einen Blick auf die schlafende Dorothea und marschierte zum Fenster, um noch einmal die herrliche Fernsicht zu genießen.
Diano Marina unter dem Sternenhimmel. Das sanft spiegelnde Meer. Die Morgenahnung am Horizont. Zauber des Südens …
Plötzlich erstarrte Wolters, trat einen Schritt vom Fenster zurück und griff nach dem Fensterflügel, als brauche er Halt, weil ihm die Beine versagten.
Dem Haus näherte sich ein Wagen. Erst waren es die Scheinwerfer, die sich wie lange, helle Finger durch die Dunkelheit tasteten, dann sah Wolters den Wagen selbst, hörte das Motorengeräusch und erkannte sogar den Typ, als das Auto vor dem Haus stoppte.
Das ist doch nicht möglich, dachte Wolters und atmete kaum. Mein Sohn Walter hat sich davongeschlichen und kehrt jetzt heim. Dieser Lümmel! Warum sagt er das denn nicht? Hat er es nötig mit seinen neunzehn Jahren, so heimlich zu tun? Er ist doch ein erwachsener junger Mann! Du lieber Himmel, mit neunzehn, da habe ich … wenn ich daran denke … Junge, du brauchst doch nicht vor deinem Vater davonzuschleichen! Und überhaupt – in Bamberg hast du nie danach gefragt, was wir denken, wenn du abends in Jeans und Lederjacke losgezogen bist …
Walter stieg aus und schloß leise die Autotür. Aber dann öffnete sich die andere Tür, und von diesem Augenblick an sah für Hermann Wolters die Sache ganz anders aus.
Eva Aurich stieg aus dem Citroën, strich sich mit der für sie typischen Geste die blonden Haare aus dem Gesicht und lief leichtfüßig um das Haus herum zum Hintereingang. Walter folgte ihr in seinem wiegenden Gang, den Hermann Wolters jetzt als ausgesprochen ekelhaft empfand.
Man sagt immer so dramatisch: Es zerschneidet ihm das Herz … Bei Wolters war es der Magen. Er spürte eine heftige Übelkeit, blieb am Fenster stehen, starrte auf das kleine Auto und hielt sich immer noch am Fensterflügel fest.
So ist das also, dachte er. So! Eva und Walter! Ein so kluges Mädchen gibt sich mit einem Jüngling ab, der vier Jahre jünger als sie ist. Mit einem Kerl, der die bestehende Gesellschaft zerschlagen will, der mit einer Kommunardin geschlafen hat, der gerade sein Abitur gemacht hat, ohne zu wissen, wer die Satrapen waren. Mit einem Burschen, der sich weigert, sich einen Anzug zu kaufen, sondern nur in Jeans herumläuft. Der als einziger – als Sohn eines Studienrats! – bei der Abiturfeier ohne Krawatte erschien, sondern nur mit einem zu einer Schleife gebundenen Bindfaden um den Kragen.
Himmel, habe ich mich geschämt. Und was die Kollegen dann sagten! Und der Chef, Herr Oberstudiendirektor Dr. Michael Reichbach, den die Schüler immer Armfluß nennen, plädierte später im Lehrerzimmer für das Recht, auch Abiturienten gegenüber Ohrfeigen verteilen zu können.
Und dieser renitente Bengel ist es in Evas Augen wert, mit ihr zu heimlichen, nächtlichen Exzessen ausrücken zu dürfen!
Daß Walter sein Sohn war, vergrößerte die Ungeheuerlichkeit noch. Wolters stellte sich vor, was in dieser Nacht geschehen sein könnte, und da die Phantasien Unbeteiligter immer übertriebener Natur sind, blieb ihm der Atem weg bei seinen plastischen Gedanken.
Eva in Walters Armen … irgendwo am Strand, unter Palmen oder Pinien, hinter Blütenbüschen, in einem schnell gemieteten Zimmer über einer Kaschemme – oder am Meer, von Wellen umspült wie in dem Film ›Verdammt in alle
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