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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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konzentrieren. In ihrem Bauch spürte sie eine steigende Hitze, die sich über ihren gesamten Körper ausbreitete. Wie ein Fieber, das von ihr Besitz ergriff, sie aber nicht schwächte, im Gegenteil, ihren Leib mit Energie versorgte. Die Hitze stieg bis in ihre Fingerspitzen und drang aus ihnen als sichtbare Strahlen, die sich in Flammen wandelten. Amber murmelte einen Bannspruch in Ogham, den Hermit sie gelehrt hatte. Sie wusste nur nicht, ob er auf jeden Dämon übertragbar war, aber einen Versuch war es wert. Die Flammen entzündeten die gelben Gräser und schlossen sie ein. Sie bildeten ein Muster, einen Drudenfuß oder auch Pentagramm genannt. Wie hypnotisiert verfolgte Amber das bizarre Schauspiel. Im selben Augenblick, in dem das Pentagramm vollendet war, lockerte sich der Griff um ihren Hals. Mit einem durchdringenden Kreischen, das an Raubvogelschreie erinnerte, ließ der Dämon von ihr ab. Er floh über ihren Kopf, und als er das lodernde Feuer überqueren wollte, griffen Arme aus den Flammen nach ihm und zogen ihn herab. Alles, was Amber auf die Schnelle von diesem Dämon erkennen konnte, war der dralle, nackte Körper eines Engels mit hässlicher Fratze und spitzen Zähnen. Sie war das Opfer eines Aufhockerdämons gewesen. Mit einem letzten Aufschrei ging der Dämon in Flammen auf. Im gleichen Augenblick erlosch das Feuer mit einem Zischen, als hätte Wasser es gelöscht. Feiner Dampf stieg empor, den der Wind forttrug.
    Erleichtert atmete Amber auf und streckte ihre Glieder auf dem Boden aus. Nur langsam kühlte ihr Körper ab. Sie fühlte über ihre Wange nach den Kratzern, aber es gab keine. Alles Illusion. Zurück blieb ein hohles Gefühl, als sei sie ausgebrannt. Sie brauchte eine Weile, um zu sich zu kommen.
    Jedes Mal entdeckte sie neue Fähigkeiten an sich, die sie überraschten. Zu welchen Dingen war sie eigentlich noch fähig? Mit einem Seufzer barg sie ihr Gesicht in den Händen.
    Nach einer Weile rappelte sie sich auf, bis sie schwankend auf den Beinen stand. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, als hätte sie nüchtern Whisky getrunken. Der Wind kroch eisig in ihre Kleidung. Zitternd taumelte sie den schmalen Pfad weiter.
    Warum zum Teufel wurde sie das blöde Gefühl nicht los, dass sie noch immer beobachtet wurde? Nicht schon wieder ein Dämon. Sie fühlte sich total erschöpft. Ihre Batterien waren verbraucht. Sie humpelte und kam langsamer voran, als sie gehofft hatte, denn ihre aufgeschlagenen Knie brannten. Vielleicht würde Aidan nach ihr suchen. Oder Mom. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, kein Dämon möge sie wieder heimsuchen. Wie konnte sie nur ihr Handy vergessen? Regelmäßig vergaß sie ihr Handy, genauso oft, wie sie sich verspätete. Bis Gealach Castle war es mindestens noch eine knappe Stunde Fußmarsch, und ihre Beine wurden schwer wie Blei. In dieser einsamen Gegend, fernab der Straße, zwischen Hochmoor und Wald, würde sie kaum einer Menschenseele begegnen.
    Der Wind fuhr durch die Bäume, und Amber zuckte zusammen. Sie zog den Kragen enger um den Hals und lief schneller, so gut es ging. Hatte sie sich getäuscht oder leuchteten da zwischen den Bäumen zwei rote Punkte auf? Mit letzter Kraft verbiss sie den Schmerz in den krampfenden Beinen, der jede Bewegung zur Qual machte. Doch bereits nach wenigen Schritten sackte sie auf einen der Findlinge und stützte den Kopf in die Hände. Sie war am Ende ihrer Kräfte und den Tränen nahe. Keinen einzigen Meter konnte sie gehen und musste sich ausruhen, selbst wenn die Angst vor einem weiteren Dämonenangriff sie drängte, ihrer Erschöpfung nicht nachzugeben. Es dämmerte, und der Wind peitschte die Zweige stärker als zuvor. Ihr Treffen mit Beth konnte sie abhaken. Wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit Gealach Castle erreichen wollte, musste sie sich zusammenreißen und weitergehen.
    Plötzliches Motorengeräusch ertönte. Im Landschaftsschutzgebiet zu fahren, war verboten. Wer in Gottes Namen setzte sich über alles hinweg und bretterte durch den Glen? Aber sie wäre dankbar für jede Hilfe. Ein Motorrad preschte den schmalen Pfad am Waldrand hinauf direkt auf sie zu. Hatte Aidan vielleicht doch ...? Nein, er fuhr kein Motorrad.
    Das Hinterrad brach aus und schleuderte feuchte Erde hoch, die ihr in Klumpen um die Ohren flog. Flegel! Der Fahrer war ein breitschultriger Kerl in einem schwarzen Lederoutfit. Er zog den Helm vom Kopf und schüttelte sein hellbraunes, dichtes Haar, das zerzaust bis auf die Schultern

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