Mordwoche (German Edition)
den sie in Erinnerung hatte. „Susi, komm her, lass dich von deinem alten Vater drücken!“ Karl Merz konnte es nicht mehr erwarten, seine Tochter endlich in den Armen zu halten. Der Weg herunter war lang.
Susanne k am ihrem Vater ein paar Stufen entgegen und umarmte ihn etwas ungelenk auf der Treppe. Merkte er, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb? Sie dachte an die Giftkapsel, die sie in dem kleinen Futteral in die Tasche mit den Weihnachtsgeschenken gesteckt hatte, um sie nicht zu vergessen. Wie dieser Besuch wohl enden würde? Susanne führte ihren Vater die letzten Stufen herunter und Pluto legte sich gleich zu seinen Füßen hin. „Papa, das ist Alex.“ „Alexandra Bergmann, ich freue mich sehr, Herr Merz.“ Alex hielt Karl Merz die Hand zur Begrüßung entgegen. Im Gegensatz zu Elfi konnte Karl seinen Schock nicht verbergen. Seine Tochter hatte eine Frau mitgebracht! Es herrschte betretenes Schweigen und es dauerte mehr als eine Schrecksekunde bis Karl Merz Alex die Hand gab. Elfi wollte die Peinlichkeit überspielen und lotste alle ins Wohnzimmer, das man durch eine große Holztür von der Diele aus betreten konnte.
Alex hatte sich in Gedanken schon auf diese Situation vorbereitet und mit allem gerechnet. Dass die Unternehmer-Gattin, die sich auf dem gesellschaftlichen Parkett so gewandt fühlte, allerdings so wenig Feingefühl besaß, überraschte sie allerdings schon. Die übertriebene Freundlichkeit wirkte wie eine Fassade. Alex war schnell klar, dass sie Elfi Merz nicht besonders mochte und sie bezweifelte immer mehr, dass sie sich hier wirklich willkommen und zuhause fühlen konnte. In gewisser Weise war ihr da das abweisende Verhalten von Susannes Vater lieber. Da wusste sie wenigstens, woran sie war. Der heuchelte wenigstens keine Freude, sondern fragte sich wahrscheinlich gerade insgeheim, zu welchem Schweinkram die Lesbentussi mit ihren Cowboystiefeln sein kleines Mädchen verführt hatte. Alex wich dem Blick des Vaters aus. Zum Glück hatte sich Susanne bei ihrem Vater eingehakt und erkundigte sich gerade nach seinem Gesundheitszustand.
Elfi hatte eine Klappe in der raumfüllenden Schrankwand im Wohnzimmer geöffnet und zum Vorschein kam eine beleuchtete Hausbar. Passte irgendwie zu dem spießigen Wohnzimmer-Ensemble aus Bequemsofa in creme, Heimorgel und Gummibaum. Die Haustürklingel erlöste die Anwesenden aus ihrer verlegenen Lage. Die Enkel begrüßten ihre Großeltern und sofort verwandelte sich der Ausdruck in Karl Merz’ Gesicht. Jetzt war er der liebe Opa, der die Bescherung ebenso sehnsüchtig erwartete wie Marie und Lukas. Selbst Elfi Merz gewann im Umgang mit ihren Enkelkindern an Natürlichkeit. Kinder sind etwas Wunderbares, dachte Alex und freute sich, dass sie von Susannes Nichte und Neffe ebenso überschwänglich begrüßt wurde wie Susanne selbst. Den beiden war es völlig wurscht, wen ihnen ihre Tante als ihre bessere Hälfte vorstellte. Tante Susi hatte bei den beiden einen dicken Stein im Brett und diese geballte Ladung an Sympathie wurde nun auch Alex zuteil.
„Kinder, wie schön, dass jetzt alle da sind. Papa und ich freuen uns, dass die ganze Familie zusammen Weihnachten feiert. Ich habe schon den Sekt kalt gestellt, lasst uns doch erst einmal anstoßen.“ Auf den Schreck oder was, dachte Alex und schaute fragend rüber zu Susanne. Die zuckte nur mit den Schultern, als sie von ihrer Schwester in die Küche bugsiert wurde. „Susanne und ich kümmern uns um den Sekt, Mama, wir sind gleich wieder bei euch.“ Karl Merz hatte den Lesben-Schock offensichtlich noch nicht verdaut, denn er verwickelte lieber seinen Schwiegersohn in ein Gespräch über berufliche Entscheidungen, anstatt sich mit Alex zu unterhalten. Beide Männer verschwanden kurz darauf ins Arbeitszimmer wo sie nur „ganz schnell über ein paar Papiere schauen“ wollten. Die Kinder waren ebenfalls zum Spielen verschwunden. Alex war jetzt mit Elfi allein und wünschte sich, dass die Schwestern bald aus der Küche zurückkämen.
„Sag mal, Papa ist ganz schön schlecht beieinander, oder? Als er neulich bei mir anrief, da klang er ganz furchtbar am Telefon und heute war er so schwach, dass er kaum die Treppe runtergekommen ist.“ Susanne hatte sich an die Arbeitsplatte in der Küche gelehnt und sah ihre Schwester an. „Es geht mal bergauf und mal bergab. Gerade geht’s ihm nicht so gut, da hast du Recht.“ „Hat Papa dich auch gebeten, die Kapsel - du weißt schon - mitzubringen?“
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