Morgen letzter Tag!
obgleich er sich über die moralische Schieflage durchaus im Klaren ist: » Wir müssen zwar zugeben, dass unser Rechtssystem von Eigentum und Erbschaft ungerecht ist– aber es ist besser, wenn wir uns damit zufrieden geben, da wir im Moment nicht davon überzeugt sind, dass irgendjemand ein besseres System erfunden hat. Die Alternative ist zu schrecklich, als dass man daran denken wollte. Ungerechtigkeit ist dem Untergang vorzuziehen« (zitiert nach Petra Dobner, » Wasserpolitik«). Sozialistische Bestrebungen müssen also, glaubt man Herrn Hardin, direkt in den Untergang führen, weil zehn Egoschweine schlimmer sind als ein Egoschwein.
Und die Möglichkeit, dass die Hirten sich abends zusammensetzen und über die Sache mit dem Plusschaf reden, gibt es überhaupt nicht. Würden sie das tun, was aber freilich völlig unvernünftig wäre, könnten sie zum Beispiel dem gierigen Hirten sein Extraschaf ausreden, es schlachten und dufte feiern. Mit Hammelbraten. Oder der » gierige« Hirte könnte wiederum die Mehrheit überzeugen, dass er das zusätzliche Schaf unbedingt braucht. Vielleicht hat seine Frau gerade Zwillinge zur Welt gebracht. Jetzt reichen seine Schafe nicht mehr, um die Familie durchzubringen. Nun könnte wiederum einer der anderen Hirten, der weniger Kinder hat, für eine Weile auf ein Schaf verzichten (wieder gäbe es Hammelbraten für alle!) und sich mit neun Schafen zufriedengeben, weil er mit dem in demografische Not geratenen Kollegen solidarisch ist. Dann würde die Gesamtrechnung der Gemeinschaft wieder aufgehen.
Doch das alles sind keine rationalen Optionen, weil sie ja nicht voraussetzen, dass Menschen geile, gierige Egoisten sind. Und wer das nicht annimmt, der ist ein Träumer und kein rationaler, kühler Daseinsversteher.
Dem Gedanken von Herrn Hardin liegt das Menschenbild des Homo oeconomicus zugrunde. Nämlicher ist ein rationaler Egoist. Ausgeklügelte Experimente der Verhaltensforscher haben allerdings inzwischen zweierlei einigermaßen zweifelsfrei festgestellt. Erstens: Menschen sind kaum rational. Der Verstand ist die Ethikkommission des Gehirns, die nachträglich die Entscheidungen, die die Abteilung Gefühle und Impulse getroffen hat, begründet. Dieses Ergebnis kann kaum überraschen.
Zweitens ist inzwischen recht gut belegt, dass wir auch von Natur aus keine Egoisten sind. Sie haben recht, » von Natur aus« ist immer eine heikle Wendung, weil ein so plastisches Wesen wie der Mensch sich eben genau dadurch auszeichnet, dass er kaum über feste Konstanten verfügt, die man als seine » Natur« bezeichnen könnte. Aber dennoch ist klar, dass Menschen immer in Gruppen auftreten und deswegen auch nur in Gruppen zu denken sind. Dieser Bezug auf das Soziale ist dem Überleben des Menschen in seiner Evolution ebenso beigemengt wie sein Verwiesensein auf die Technik als Erweiterung seines Wesensraumes. Und da wir also eben nun mal Gruppentiere sind (wenn Sie wollen, auch Herdentiere), scheint klar, dass ein gewisses Maß an Kooperationsbereitschaft deutlich wahrscheinlicher einer » Natur des Menschen« zuzurechnen ist als dessen Gegenteil. Sonst hätten wir es bis hierhin schlicht nicht geschafft.
Dennoch– die überraschend schlichte Legitimierung von extremer Ungerechtigkeit, die sich in den Gedanken von Herrn Hardin antreffen lässt, und auch das offensichtlich falsche Menschenbild, das ihnen zugrunde liegt, stellen keinerlei Hinderungsgrund dafür dar, dass dieses Denken die Hauptideologie unserer Tage darstellt.
Vom Ökonomen Kenneth Boulding stammt der Satz: » Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum könne endlos weitergehen, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.« Oder– könnte man noch hinzufügen– er weiß nicht, dass wir einen Planeten bewohnen, und wäre somit ein Vollpfosten. Nun will aber niemand ein Verrückter oder ein Vollpfosten sein. Nicht mal Ökonomen. Warum also wird allenthalben, besonders jetzt in der Schuldenkrise, nach wachsendem Wachstum gerufen? Warum muss unsere Wirtschaft immer wachsen und warum darf sie sich nicht in den Zustand eines dynamischen Gleichgewichts begeben? Ist das ein Naturgesetz? Fast scheint es so. Allein, es gibt durchaus praktische und einfach nachzuvollziehende Gründe für unsere Wachstumsbesessenheit. Und einer der wichtigsten scheint mir die Tatsache zu sein, dass unser Geld Zinsen bringt. Bringen muss. Es muss sich vermehren. Allerdings müssen diese Zinsen auch erwirtschaftet werden. Man meint immer, weltweit
Weitere Kostenlose Bücher