MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Wochen nicht mehr geregnet hatte, fand sich hier draußen auf der Ellerheide immer noch ausreichend Futter für die Tiere. Allerdings musste sie ständig darauf achten, dass sie bei der Suche nach Gräsern und Kräutern nicht ins angrenzende Brodermoor gerieten und dort jämmerlich zugrunde gingen. Wen das Moor einmal in seine sumpfigen Fänge bekam, den ließ es selten wieder los, und so war sein Opfer, egal ob Alwe oder Tier, meist dem Tode geweiht. Deshalb durfte die Herde auch niemals unbehütet auf die Weide. Die Milch der Tiere reichte für ihre Familie gerade mal so aus, und so durfte sie es nicht riskieren, auch nur eine einzige Ziege oder ein Schaf zu verlieren.
Das Hüten der Herde war eigentlich Ayanis Aufgabe. Doch nach ihrer Flucht vor den marschmärkischen Kriegern hatte sie sich ein wenig Erholung verdient. Deshalb hatte Maruna die Ziegen und Schafe ausnahmsweise selbst aus dem Gatter gelassen und hinaus auf die Ellerheide getrieben. Zum Glück bereiteten die Tiere ihr kaum Mühe. Meist grasten sie im Schatten der großen Hecke und machten keinerlei Anstalten, sich dem tückischen Moor zu nähern.
Marunas Herz war schwer vor Sorge.
Wenn sie doch nur Mayan um Rat fragen könnte!
Der würde mit Sicherheit die richtige Entscheidung treffen.
So aber zermarterte sich Maruna schon seit Stunden den Kopf, wie sie sich weiter verhalten sollte - und wusste es dennoch nicht.
Sollte sie Ayani endlich offenbaren, was in jener schicksalhaften Nacht vor vierzehn Sommern geschehen war, in der König Nelwyn gemeuchelt wurde? Sollte sie ihr wirklich von Merani, Mayans Schwester, erzählen, die zu jener Zeit am Hofe des Königs beschäftigt war - und der im allerletzten Augenblick die Flucht aus der Festung geglückt war? Völlig verzweifelt hatte Merani Zuflucht in dem Dorf gesucht, in dem sie geboren wurde, und war mitten in der Nacht vor ihrer Hütte aufgetaucht. Sollte Maruna nun endlich ihr Schweigen brechen und Ayani berichten, was sich in dem von Leinentüchern umhüllten Bündel befand, das Merani aus Helmenkroon herausgeschmuggelt hatte, um es ihnen anzuvertrauen? War Ayani jetzt reif genug, um das große Geheimnis zu erfahren?
Andererseits hatten Mayan und sie über all die Jahre eisern geschwiegen und niemandem auch nur ein Wort davon erzählt - selbst nicht ihren eigenen Eltern, die damals noch lebten. Und da Merani bereits am nächsten Tag den Tod erlitten hatte, gab es nur noch zwei Alwen, die darum wussten: Mayan und sie selbst! Dass sie nicht wusste, was mit Mayan inzwischen geschehen war, brachte Maruna an der Rand der Verzweiflung. War ihr geliebter Mann noch am Leben - oder hatten Rhogarrs Schergen ihn bereits zu Tode gefoltert? Vielleicht war Mayan auch ein Opfer der regelmäßigen Hinrichtungen geworden, die der Tyrann zur eigenen Belustigung auf dem Marktplatz von Helmenkroon abhielt? War diese quälende Ungewissheit nicht Grund genug, die Tochter endlich einzuweihen? Und danach natürlich auch den Sohn?
Aber konnte sie diese schwere Entscheidung wirklich alleine treffen? Musste sie Mayan nicht nur um Rat, sondern auch um seine Zustimmung bitten?
Schließlich hing so viel davon ab, dass sie das Richtige tat. Am Ende vielleicht sogar das Schicksal ihres ganzen Volkes. Erschöpft vom vielen Nachdenken, fiel Maruna auf die Knie und streckte ihre Hände zum Himmel. Tränen strömten über ihr Gesicht, während sie die Unsichtbaren um Rat anflehte. »Schickt mir ein Zeichen, ich bitte Euch! Damit ich endlich weiß, was ich tun soll.«
Die Unsichtbaren aber schwiegen. Das erhoffte Zeichen blieb aus und Maruna war ratloser als jemals zuvor.
U nd?« Opa Melchior legte das Besteck zur Seite und schaute seinen Enkel fragend an. »Wie lief es beim Reiten?«
Niko schluckte den letzten Bissen des Abendbrots hinunter. »Gar nicht mal so schlecht«, antwortete er und wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Eigentlich sogar ganz gut.«
»Na, also.« Der Opa schmunzelte zufrieden. »Wie ich immer sage: Was Hänschen gelernt hat, verlernt Hans nimmermehr!«
Niko kicherte und nahm die Vorlage auf: »Aber selbst der frühe Vogel fängt nicht jeden Wurm!«
»Weil zur Morgenstund man schläft gesund!« Der Opa blinzelte ihm zu, erhob sich und wollte den Tisch abräumen.
Doch Rieke fiel ihm in den Arm. »Lass mal, Papa, das schaffe ich schon alleine«, sagte sie. Zärtlichkeit schwang in ihrer Stimme mit. Sie schien die
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