Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
hatte. Trotzdem dachte sie, dass irgendetwas an diesem Wort nicht wahr wäre. Es gab keine Vampire, nicht in der Realität. Und sie waren auch ganz anders, als sie das aus diesen ganzen Serien kannte. Nicht so romantisch. Irgendwie getrieben. Und jedenfalls kein Mann, mit dem sie eine Beziehung haben wollte.
Bei diesem Gedanken lächelte sie fast schon wieder. Seit es diese Liebesromanen mit Vampiren gab, wollte die halbe Frauenwelt gerne einen solchen düsteren und geheimnisvollen Liebhaber. Aber das waren nur Wesen, wie sie auf dem Papier standen. Und hier hatte sie, wenn der junge Mann nicht aus irgend einem Grund Unsinn erzählte, einen kennen gelernt, mit dem die wenigsten Frauen auch nur zu tun haben wollten.
"Vielleicht sollten Sie sich etwas hinlegen.", schlug sie vor. "Sie können gerne mein Sofa benutzen, bis Sie sich besser fühlen."
Er nickte und schwankte dabei schon wieder. "Es wäre ganz gut, von der Straße zu verschwinden. Der Tod von diesem Diener ist seinem Herren vermutlich schon bekannt."
Geraldine packte Iaron am Arm, um ihm Stabilität zu geben.
"Danke!" Sie wandten sich der Haustür zu, wobei Iaron beim Gehen enorme Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Jetzt verstand Geraldine auch, warum er sich zunächst gar nicht vom Fleck gerührt hatte. Ihm war zu schwindelig gewesen.
Gemeinsam aber waren sie kurz darauf in der Wohnung von ihr.
Der junge Mann ließ sich aufs Sofa sinken. "Öffnen Sie die Tür nur Bekannten und sprechen Sie gegenüber Unbekannten auf keinen Fall eine Einladung aus.", nuschelte er und sackte dann weg.
* * *
Geraldine brühte sich gerade einen frischen Kaffee, als sie die Tür schlagen hörte. Sie eilte in ihr Wohnzimmer. Das Sofa war leer und der Mann, der sich als Iaron bezeichnet hatte, verschwunden.
In ihr kochte Wut hoch. Was für ein verlogener Kerl. Aber auch auf sich war sie wütend. Sie hatte schon im ersten Moment gedacht, dass Iaron kein richtiger Name ist und selbst sein Geruch war nicht menschlich gewesen.
Sie hätte ihm sofort misstrauen müssen. Dann fiel ihr Blick auf einen Zettel auf dem Sofa. Sie hob ihn auf.
Er war von ihrem Telefonblock abgerissen worden. Mit unbeholfenen Buchstaben stand dort:
DUD MIR LEIT. ICH MUS FORT. URBANO IST ABA IN DER NE. IARON
Geraldine brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, was dort stand. Von dem Wort "Urbano" glaubte sie, dass es ein Mensch sei (in Gedanken ergänzte sie: oder irgend ein anderes Wesen), nachdem sie "NE" als Nähe entziffert hatte: Tut mir leid. Ich muss fort. Urbano ist aber in der Nähe. Iaron
Achtlos legte sie den Zettel zu den anderen, die sich neben ihrem Festanschluss gestapelt hatten. Dann setzte sie sich in ihre Küche, trank ihren Kaffee und überlegte, was zu tun sei. Sie wollte auf keinen Fall die Wohnung verlassen. Sie empfand zwar keine Angst bei dem Gedanken, nahm aber Iarons Warnung ernst, dass es für sie besser sei, nicht auf die Straße zu gehen. Doch was sollte sie dann machen?
Was sollte sie mit diesen ermordeten Frauen anfangen? Warum glaubte Weizman, dass ihr Angreifer etwas mit diesen zu tun hatte? Und wer waren diese beiden Männer, die sie anscheinend beschützten? Warum redeten sie nicht mit ihr?
Und dann schob sie alle Erinnerungen an die letzte Woche hin und her, als ob es Puzzleteile wären, und versuchte den Zusammenhang zu finden. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit Tom zusammen eine Bärenfamilie beobachtet hatte. Das war am Mittwoch gewesen. Die Bärenmutter war besonders aufmerksam und einmal fletschte sie ihr enormes Gebiss in Richtung ihrer beiden heimlichen Beobachter. Tom hatte Geraldine erstaunt angesehen und Geraldine hatte sofort gewusst, dass er dachte, was sie dachte: die Bärin hatte sie gespürt. So etwas war den beiden erfahrenen Wildhütern schon ewig nicht mehr passiert.
Geraldine erinnerte sich aber auch daran, wie sie bei ihren ersten Gang in die Wildnis von den Gerüchen und Geräuschen fast erschlagen wurde, wie sie einen Rotschopfspecht ganz weit oben in den Bäumen erblickt hatte und das Gefühl hatte, sie fasse ihn beinahe an. Der ganze Wald, das Gebiet, in dem sie sich so gut auskannte, war ihr wie verwandelt. In der Woche hatte es keine Zeit gegeben, darüber nachzudenken. Aber jetzt fühlte sie sich durch diese Mischung aus freudiger Überraschung und der Angst vor dem, was mit ihr passierte, überfordert.
Konnte sie diese Wandlung wirklich als etwas Positives annehmen, wie Maria ihr das empfohlen hatte?
Wenn Kummer ihr
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