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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Sandstreifen war schmal, und trotz der Dunkelheit konnte Laura erkennen, dass die schiefen und verkrüppelten Bäume sich vom Meer abwandten, ja die Äste schienen fast vom Land Hilfe zu erflehen. Es waren tote kahle Bäume, gebleicht vom salzigen Wind. Laura fröstelte, obwohl es nicht kalt war. Sie hatte Mühe, mit Guerrini Schritt zu halten. Immer wieder sanken ihre Füße tief in den Sand.
    Irgendwann wich der Wald zurück, stiegen Dünen vom Strand auf, und am Ende der Bucht ragten schwarze Felswände aus dem Wasser. Kurz vor den Felsen wurde der Strand flach, und das Meer drang in einem sanften Rund tiefer ins Land vor. Seetang glänzte im letzten Licht. Guerrini blieb stehen.
    «Komm, lass uns schwimmen gehen!»
    «Wo sind wir, Angelo?», fragte Laura leise.
    «An meinem Lieblingsort.» Er streifte sein Hemd ab, zog Schuhe und Strümpfe aus, öffnete den Gürtel seiner Hose. Laura tat es ihm gleich, sah ihn nicht an.
    Verrückt, dachte sie. Wir sind total verrückt.
    Gänsehaut überzog ihren Körper. Es war nicht die Kälte, sondern dieses Gefühl von Lebendigkeit, das sie lange in sich versteckt hatte. Wieder nahm Guerrini ihre Hand und ging neben ihr zum Wasser. Als ihre Füße eintauchten, die Wellen an ihren Beinen hinaufleckten, hielten sie inne.
    «Los!», lachte Guerrini. «Schnell rein, dann ist’s nicht so schlimm!»
    Sie gingen weiter, schrien gleichzeitig, als das kühle Wasser ihre Bäuche umspülte, zur Brust schwappte, warfen sich endlich ganz hinein, schwammen um die Wette, weit hinaus. Schaukelten auf Wellenbergen, legten sich auf den Rücken und sahen zu den Sternen hinauf.
    Sie blieben im Wasser, bis die Kälte sie an den Strand zurücktrieb, krochen erschöpft aus der Brandung, blieben im nassen Sand liegen wie Überlebende eines Schiffbruchs und pressten ihre Körper aneinander, spürten jede Wölbung, jede Vertiefung, rollten sich unendlich langsam hin und her, übereinander, lagen einmal oben, einmal unten. Der Strand drehte sich, mit ihm die Sterne und die ganze Erde.
    «Du fühlst dich an wie ein Fisch!», flüsterte Laura.
    «Du auch! Wie ein glitschiger kalter Fisch.»
    Guerrinis Lippen schmeckten nach Salz und Seetang. Als er in sie eindrang, hatte Laura die seltsame Vision zweier Meereswesen, die sich vereinigten.

D as Abendessen auf der Abbadia fand zwei Stunden später als gewöhnlich statt. Es war schon dunkel. Katharina hatte Gemüselasagne bereitet – allein, weil keiner ihrer Klienten zu sehen war. Nur Monika tauchte irgendwann auf und erbot sich, Salat zu putzen. Katharina wollte sie zu einem Gespräch ermuntern, doch die junge Frau hatte Hemmungen. Sie war noch nie mit der Therapeutin allein gewesen.
    «Wie geht es dir?», fragte Katharina, doch kaum hatte sie diesen Satz ausgesprochen, da wurde ihr bewusst, dass sie nicht einfach fragen konnte wie jeder andere Mensch. Wenn Therapeuten «Wie geht es dir?», fragten, dann schwang darin immer mehr mit. Und sie registrierte sehr genau, dass Monika verzweifelt eine angemessene Antwort suchte. Nicht einfach «gut» oder «schlecht», sondern die Antwort, die ein Therapeut von einer Klientin erwartet, eine differenzierte Antwort, eine, die den Seelenzustand beschrieb.
    «Ich … ich weiß nicht genau», stammelte Monika nach einer Weile. «Das mit der Katze war schlimm. Besonders, weil ich mich vor Katzen fürchte. Aber ich … es hat mir Leid getan, dass sie gestorben ist. Vielleicht nicht so wie den andern. Ich komme von einem Bauernhof. Mein Vater hat junge Katzen ersäuft, wenn es zu viele waren. Deshalb …»
    «Ja?» Katharina beugte sich zum Backofen hinab und überprüfte die Lasagne.
    «Deshalb war es für mich nicht so schlimm …»
    «Du fandest die Beerdigung übertrieben. Hab ich Recht?» Katharina richtete sich wieder auf, unterdrückte ein Stöhnen. Ihr Rücken schmerzte.
    «Ja, aber eigentlich auch nicht. Es stimmte schon. Ich bin so was einfach nicht gewöhnt.»
    «Du bist all das nicht gewöhnt, nicht wahr? Dir macht es Angst, wenn die Menschen ihre Gefühle so heftig äußern.»
    Warum mache ich das?, dachte Katharina gleichzeitig. Warum lasse ich sie nicht in Ruhe? Sie ist ein einfaches nettes Mädchen, das sich aus irgendwelchen Gründen in unsere Gruppe verirrt hat.
    «Ein bisschen», murmelte Monika. «Aber es ist auch wichtig. Bei mir zu Hause hat nie jemand Gefühle gezeigt. Vielleicht muss ich mich einfach daran gewöhnen.»
    «Ja, vielleicht.» Katharina lächelte und reichte Monika das

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