Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Strafmaßes war es tatsächlich so, dass oftmals schlampig ermittelt wurde. »In unserem Fall ist die Tierquälerei sogar besonders ernst zu nehmen. Ihr Bagatellisieren wäre ein ernstes Problem, nein, ein großer Fehler! Sie ist keineswegs nur eine präpubertäre Verhaltensstörung. Es ist bekannt, dass spätere Serienmörder in ihrer Kindheit und Jugend überproportional häufig Tiere quälten, missbrauchten oder töteten. Dass in unserem Fall Tierquälerei eine Rolle spielen könnte, wussten wir seit dem Auftauchen des toten Hundes«, legte Judith nochmals dar. Sie versuchte, mit ihren Bemerkungen von Lisas Ausbruch abzulenken, ihr ein wenig Zeit zu geben, sich wieder zu fassen. Sie wusste selber nur zu gut, wie anstrengend es sein konnte, menschliche Grausamkeiten verkraften zu müssen.
Walter, der Lisas Entrüstung über die Scheißkerle nicht persönlich nahm, unterstützte Judiths Absicht, indem er mit ruhiger Stimme mit den Fallerörterungen weitermachte: »Stets waren nur Großtiere wie Rinder und Schafe betroffen, soweit ich mich erinnere. Manche sind qualvoll verblutet und waren bereits tot, als man sie morgens fand, den anderen Tieren gab man dann den Gnadenschuss, um sie von ihren Leiden zu erlösen.«
»Wer hat das gemacht?« Judith Brunner fragte nicht ohne Grund.
»Das wurde damals nicht aufgeklärt, steht doch da«, wies Dr. Grede sie geduldig hin, verwundert über ihre Unaufmerksamkeit.
»Nein, ich meine, wer erschoss die Tiere?«
Lisa, die um Verzeihung bittend zu Walter Dreyer geblickt hatte und mit einem nachsichtigen Zwinkern belohnt worden war, blätterte eifrig, fand jedoch keinen Hinweis. »Das müssen wir noch recherchieren ... Sie meinen, der Schütze könnte der Täter sein? Wie der Brandstifter, der bei der Feuerwehr arbeitet? Der Tierquäler bringt’s dann am nächsten Tag zu Ende? Und im Extremfall nicht nur mit einem Hund, sondern mit einem Mädchen?!«
Judith Brunner hob unbestimmt die Schultern.
»Das ist doch krank!«, wiederholte Ritter seine bereits mehrfach vorgebrachte Meinung. Dieses Mal widersprach niemand.
»Wir haben bei der Weiterbildung mal einen ähnlichen Fall erörtert«, begann Dr. Grede. »Der Täter war ein ganz gewöhnlicher Mann, allerdings lebte er allein und sein größter Wunsch war eine Frau. Er begann, genau wie hier, Großvieh zuerst mit Gegenständen zu penetrieren. Irgendwann nahm er dann seine Hand dazu. Das Blut der verletzten Tiere half ihm, leichter einzudringen. Das Eintauchen in den warmen Leib beschrieb er als unglaubliches Gefühl. Das wollte er. Er glaubte, so das warme Innere einer Frau fühlen zu können.«
Laura wurde zunehmend unbehaglicher zumute. Diese Art von Informationen hatte sie nicht erwartet. Meine Güte, glaubte irgendein Mann auf diesem Planeten wirklich, die Eingeweide einer Kuh würden ihm solch ein Gefühl ermöglichen?
Die Polizisten am Tisch nahmen Gredes Schilderung hingegen weitaus nüchterner auf und debattierten die Ähnlichkeiten zu ihrem alten Fall aus den Akten. Vermutungen wurden angestellt, aber die entscheidenden Fragen blieben unbeantwortet im Raum stehen.
»Übte damals bereits jemand das Quälen und Morden von Menschen an den Tieren? Und jetzt, nach über zehn Jahren, legt er los?« Lisas Überlegung stieß bei den anderen auf Kopfschütteln.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Dr. Grede. »Und was hat der Typ inzwischen gemacht?«
»Oft sind bei vergleichbaren Verbrechen die Tatmuster an Tieren und Menschen fast identisch«, machte Judith Brunner ihre Mitarbeiter aufmerksam.
Dr. Grede fragte interessiert: »Praktizierte der Täter seinerzeit sodomitische Akte?«
Keinem war beim Lesen ein entsprechender Hinweis aufgefallen. Ob überhaupt danach gesucht worden war?
Grede bemerkte weiter: »Es könnte eine weitere Parallele vorhanden sein: Vielleicht gab es damals auch kein Sperma, so wie jetzt – weder bei diesem Hund noch am Mädchen.«
»Und was soll das alles bitte bedeuten? Mir reicht das nicht, um eine Verbindung herzustellen.« Ritter wirkte irgendwie aufgebracht.
»Aber es ist auch nicht so unbedeutend, dass wir eine Verbindung von vornherein ausschließen sollten«, stimmte Judith Brunner Grede zu.
»Der Täter wäre inzwischen auch etliche Jahre älter. Also definitiv kein unerfahrener Achtzehnjähriger mehr«, überlegte Walter Dreyer laut.
»Halt! Was wird aus meinem Lieblingsverdächtigen?«, hakte Lisa an dieser Stelle ein und fragte in die Runde: »Wir waren doch alle davon
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