Nana
Bücklingen. Das Theater ist nicht groß; wir tun, was wir können. Wenn Euere Hoheit mir zu folgen die Gnade hätten ...
Graf Muffat hatte sich schon gegen den Logengang gewendet. Die abschüssige Lage der Bühne machte ihn unsicher; er fühlte diesen Bretterboden unter seinen Füßen wanken. Durch die offenen Versenkungen sah man unten Lichter brennen; es gab da noch ein unterirdisches Leben mit tieffinsteren Winkeln, einem Gewirr von menschlichen Stimmen aus einer Kellerluft. Als er hinaustreten wollte, fesselte ein Zwischenfall seine Aufmerksamkeit. Zwei kleine Statistinnen, für den dritten Akt kostümiert, plauderten, vor einem kleinen Loche stehend, das sich in dem Vorhange befand, und schauten in den Saal. Die eine versuchte mit dem Finger das Loch zu erweitern, um besser zu sehen. Plötzlich rief sie aus:
Ich sehe ihn: Oh, dieses Maul ...
Bordenave war geärgert und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, der Statistin einen Tritt zu versetzen. Der Prinz hingegen lächelte; ihn unterhielt diese kleine Szene. Er blickte die kleine Statistin an: seine hohe Persönlichkeit schien ihr wenig Respekt einzuflößen; sie lachte ihm unbekümmert ins Gesicht. Bordenave bewog endlich den Prinzen, ihm zu folgen. Graf Muffat, in Schweiß gebadet, hatte den Hut abgenommen. Was ihn vor allem belästigte, war die dicke, gestockte, heiße Luft, in die ein scharfer Geruch sich mengte, dieser Kulissengeruch, ein schales Gemisch, hervorgerufen durch das Gas, die Farben der Dekorationen, den Schmutz dieser dunklen Winkel und den Schweiß der oft zweifelhaften Unterkleider der Statisten.
Im Gang war es noch ärger; da spürte man den aus den Garderoben der Schauspielerinnen herausströmenden scharfen Geruch der bei der Toilette verwendeten Essenzen und Seifen. Der Graf beeilte sich, vorwärts zu kommen; ein Frösteln überlief ihn in dieser fremden Luft.
So ein Theater ist eigentümlich, sagte der Marquis Chouard mit der entzückten Miene eines Menschen, der sich in seinem Elemente befindet.
Endlich war Bordenave vor der Loge Nanas im Hintergrunde des Ganges angelangt. Er drückte ruhig die Klinke, trat dann beiseite und sagte wieder:
Wollen Euere Hoheit eintreten ...
Man vernahm den Schrei einer überraschten Frau und sah dann Nana, nackt bis zum Gürtel, sich hinter einen Vorhang flüchten, während ihre Garderobefrau, die sie eben abgetrocknet hatte, mit dem Handtuch in der Luft dastand.
Oh, das ist unfein, so einzutreten, rief Nana hinter dem Vorhang. Bleiben Sie draußen, Sie sehen doch, daß man nicht eintreten kann.
Bordenave schien über diese Flucht unzufrieden.
Bleiben Sie doch, das tut nichts, sagte er. Seine Hoheit ist da, seien Sie doch kein Kind.
Da sie es noch immer ablehnte zu erscheinen, obgleich sie hinter ihrem Vorhang schon lachte, fuhr er in väterlichem Tone fort:
Mein Gott, diese Herren wissen wohl, wie eine Frau aussieht. Sie werden Sie nicht aufessen.
Das ist nicht ganz sicher, bemerkte fein der Prinz.
Alle lachten über diese Bemerkung, um dem Prinzen zu schmeicheln. Bordenave meinte, es sei ein feines Wort, im Pariser Stil.
Nana antwortete nicht mehr, der Vorhang bewegte sich; sie schien endlich einen Entschluß zu fassen.
Graf Muffat, dem das Blut in die Wangen stieg, musterte die Loge. Es war ein viereckiger Raum, sehr niedrig, mit einem lichtbraunen Stoff überzogen. Ein Vorhang vom nämlichen Stoff, durch Kupferringe festgehalten, bildete eine Art Kabinett im Hintergrunde des Zimmers. Zwei breite Fenster gingen auf den Hof des Theaters, der höchstens drei Meter breit war und an dessen bröckeliger Mauer gegenüber die erleuchteten Umrisse der Fenster sich abhoben. Einem großen Spiegel gegenüber stand ein Toilettetisch mit weißer Marmorplatte, bedeckt mit einem Durcheinander von Tiegeln und Fläschchen für allerlei Öle, Essenzen, Schminke und Puder. Der Graf näherte sich dem Spiegel und bemerkte, daß er im Gesicht rot war und helle Schweißtropfen ihm auf der Stirne standen. Er senkte die Augen und trat an den Toilettetisch, wo er sich in den Anblick des vollen Waschbeckens, der nassen Schwämme, der verschiedenen elfenbeinernen Toilettebehelfe zu versenken schien. Der Zauber, der ihn bei dem Besuch ergriffen, den er Nana in ihrer Wohnung gemacht hatte, bemächtigte sich seiner von neuem. Er fühlte den dicken Teppich, mit dem der Boden der Garderobe belegt war, unter seinen Füßen weichen; die Gasflammen über dem Toilettetisch und Spiegel brannten förmlich an seiner
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