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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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pausenlos weinte, und ihre Stimme verlor den erstickten, höhlenartigen Klang.
    Der Grund dafür saß neben ihr. Frau Fränkel hatte jemanden gefunden, der nicht die Flucht ergriff, wenn sie über ihren Jakob reden wollte, der ihr zuhörte und sie verstand und dasselbe durchmachte wegen seiner Betti.
    »Na, du bist aber spät heute«, bemerkte Onkel Erik.
    »Ich war noch mit Mischa unterwegs«, erwiderte ich und wartete, dass sie mich vorbeiließen.
    »Wie schön, dass Kinder überall auf der Welt Freundschaft schließen«, flötete Frau Fränkel. »Ein netter Junge, dein Mischa, und so höflich.«
    »Dein Mischa …!«, wiederholte Onkel Erik. »Das wird ihr jetzt aber nicht gefallen, Anita.«
    Er blickte mich lächelnd an. Onkel Erik wusste genau, dass er sich mir gegenüber mehr herausnehmen konnte als andere. Niemand konnte ihm ernstlich böse sein, selbst Herr Hu nicht, der sich anfangs bitter beklagt hatte, als unversehens eine weitere Person in unserem Haushalt aufgetaucht war. Schon am nächsten Morgen hatte er vor unserer Tür gestanden, laut geredet und immer wütender mit einer Hand in die andere geschlagen, bis wir endlich kapierten, dass wir für Onkel Erik extra bezahlen mussten.
    Mittlerweile mochte Herr Hu meinen Onkel so sehr, dass sich sein Grinsen nahezu um seine Ohren wickelte, wenn sie einander begegneten. Die ganze Familie Hu unterhielt sich mit Onkel Erik in einer lebhaften Mischung aus Englisch, Pidgin und den paar Worten Chinesisch, die er im Gegensatz zu uns bereits gelernt hatte; ich hatte sogar schon gesehen, wie Oma Hu ihn freundschaftlich gegen den Arm boxte.
    Ich tat, als hätte ich die dumme Anspielung nicht gehört, und quetschte mich zwischen Onkel Erik und Frau Fränkel hindurch. Papa saß im kleinen Zimmer, die Nähmaschine ratterte. Ich lehnte mich gegen das zusammengeklappte Bett, auf dem nachts nun Onkel Erik schlief – meine Matratze lag wieder zwischen den Betten meiner Eltern.
    »Rate mal, wen Mischa und ich in der Stadt getroffen habe«, begann ich. »Ach was, du kommst sowieso nicht darauf: Mr Tatler!«
    Papa hörte auf zu nähen und sah mich überrascht an. Abgesehen davon, dass er unter Rückenschmerzen litt und seine Augen in letzter Zeit deutlich kleiner geworden waren, war die Schneiderei ein Volltreffer. Der Auftragskorb war gut gefüllt, immer öfter leisteten wir uns das verführerische Essen aus der Garküche unseres Vertrauens und auch der Sparstrumpf für Evchen und Tante Ruth wies schon einen kleinen Betrag auf. Onkel Erik trug ebenfalls dazu bei; erst wenige Wochen in Shanghai, hatte er bereits eine Stelle als Nachtwächter in einer Fabrik auf der Halbinsel Pudong gefunden.
    »Mrs Tatler geht zurück nach England«, berichtete ich. »Sie glauben, dass es Krieg gibt, weil der Fü Polen angreifen könnte.«
    Papa lehnte sich zurück. Bis zu diesem Augenblick hatte ich die leise Hoffnung gehabt, dass Mr Tatler und Mischa mit dem Krieg übertrieben, aber Papa nickte, als wüsste er schon ganz genau, wovon die Rede war.
    »Der Fü hat sich eine Menge erlaubt in diesem Jahr. Erst hat er sich das Sudetenland einverleibt, was die Tschechoslowakei so gut wie gesprengt hat. Dann wollten Böhmen und Mähren angeblich auch noch heim ins Reich , und England und Frankreich haben nicht nur nichts dagegen unternommen, sie haben sogar mit Hitler verhandelt, ohne dass die Tschechen auch nur mit am Tisch saßen. Der Versailler Vertrag ist damit faktisch außer Kraft.«
    Papa erklärte mir, dass Deutschland im letzten Krieg zu einem Friedensschluss gezwungen worden war und Gebiete hatte abtreten müssen, die nun in der Tschechoslowakei und Polen lagen. Wenn die Siegermächte den ohnehin umstrittenen Vertrag aufs Spiel setzten, indem sie Teile der Tschechoslowakei freiwillig wieder hergaben, sei es nur eine Frage der Zeit, wann der Fü auch die Gebiete beanspruchte, die jetzt zu Polen gehörten.
    »Die Engländer und die Franzosen haben einen Fehler begangen«, sagte Papa. »Sie sind dem Fü entgegengekommen, weil sie befürchteten, dass Deutschland sich mit Russland gegen sie verbünden könnte. Jetzt sehen sie, was sie angerichtet haben. Der Fü fordert immer mehr und sie bekommen möglicherweise genau das, was sie vermeiden wollten: einen neuen Krieg.«
    »Mr Tatler meint aber, ein Krieg wäre der Anfang vom Ende vom Fü«, wandte ich ein und Papa erwiderte: »Wenn wir Glück haben. Doch bevor ein Krieg zu Ende geht, müssen unzählige Menschen sterben, und immer sind welche

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