Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
schreibt Briefe für sie, setzt Dokumente auf, verfasst Testamente und Urkunden und liest ihnen Geschriebenes vor. Einige von den Schwälbchen denken an die Zukunft, einige von den Hurenmüttern führen ein geordnetes Geschäft. Aber lesen und schreiben können sie kaum.«
»Ja, ich verstehe. Leistung auf Gegenseitigkeit.«
»So kann man es wohl betrachten. Nutzt dieses Wissen, wenn der hypocrit Euch wieder mal die Leviten liest, Mistress Alyss.«
»Ein ergötzlicher Gedanke.«
Alyss war erfreut, dass John so rasch eine Auskunft zu bieten hatte. Ob er sie auch als Leistung auf Gegenseitigkeit erhalten hatte, wollte sie nicht erfragen.
Aber die Beschäftigung mit Magister Hermanus’ Abgleiten vom Pfad der Tugend war auch ein Abgleiten ihrer Gedanken, die sie eigentlich auf die Lösung des anstehenden Problems verwenden wollte. Sie fuhr sich mit dem weichen Ende der Schreibfeder über die Stirn und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Leocadie und Ritter Arbo. Um sich darüber auszutauschen und eine mögliche Unterbringung der Jungfer bei den Beginen am Eigelstein zu bereden, war sie am Vortag bei Catrin gewesen. Ihre Freundin hatte ihr wie üblich aufmerksam zugehört, während sie eine Altardecke bestickte, und dann in ihrer sanften Art Antworten gegeben.
»Natürlich kann Leocadie hier eine Weile wohnen und arbeiten. Unsere Meisterin hat ganz gewiss nichts dagegen. Aber was versprichst du dir davon? Arbeit, die sie ablenkt, hat sie bei dir genug. Und Betschwestern sind wir genauso wenig wie dein Hauswesen.«
»Hier leben und verkehren keine Männer.«
»Das wäre ein Grund. Aber ich glaube nicht, dass es ihr helfen würde. Marians Vorschlag scheint mir hilfreicher. Ich erinnere mich an Ritter Arbos Schwester Gerlis recht gut. Sie ist ja nur knapp zwei Jahre älter als du und eine gute Freundin deiner Eltern.«
Alyss nickte. Auch ihr war die dramatische Geschichte bekannt, die sich vor ihrer Geburt abgespielt hatte. Ihr Vater hatte an einem Heiligabend einen ausgesetzten Säugling im Kloster zu Groß Sankt Martin gefunden und zu den Beginen –
zu ihrer Mutter – gebracht. Es war ein schrecklicher Mord damit verbunden gewesen: Gerlis’ Mutter, Bettina von Benasis, war von einem Wahnsinnigen enthauptet worden. Das kleine Mädchen aber war der Bastard von Ritter Gero von Bachem, Arbos legitimem Vater. Für eine Weile hatten Alyss’ Großeltern Gerlis in ihre Pflege genommen, dann hatte der Ritter sie anerkannt. Seine Gemahlin war nicht glücklich darüber, weshalb Gerlis oft bei den Benasis’ weilte. Aber zu ihren älteren Geschwistern hatte sie immer ein herzliches Verhältnis gehabt. Arbo, der Jüngste, stand ihr besonders nahe.
»Ich will sehen, ob ich ihr über ihre Familie Nachricht zukommen lassen kann. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn sie Leocadie kennenlernen würde«, schloss Alyss ihre Erinnerungen ab.
»Ja, Alyss, das könnte Leocadie helfen. Sie braucht jemanden, mit dem sie über ihren Ritter Arbo sprechen kann. Der ihn besser kennt und ihr seine Beweggründe erklärt.«
Catrin fädelte einen neuen Faden ein, und Alyss merkte, dass sie die Angelegenheit auf ihre bedächtige Art noch weiter durchdachte. Sie schätzte das ruhige, manchmal auf wunderlichen gedanklichen Verschlingungen beruhende Urteil ihrer Freundin, die ihr wie eine Schwester nahe stand.
»Bist du eigentlich ganz sicher, dass diese Verbindung wünschenswert für deine Base ist?«
Die Frage überraschte Alyss.
»Doch, ja. Ich fand, sie passten gut zusammen, Catrin. Oder hast du einen Makel an Arbo von Bachem entdeckt, der mir nicht aufgefallen ist?«
»Einen Makel nicht, aber es sticht mich etwas wie ein verlorenes Samenkörnchen im Hemd. Weißt du, Alyss, ich empfinde
ein gewisses Verständnis für deinen Vater. Und wenn ich seine Direktheit besäße, hätte ich womöglich ähnlich auf Arbos Weigerung, sich zu rechtfertigen, reagiert.«
»Ja, sein verbiesterter Stolz …«
»Nein, Alyss. Sein Verständnis von Ehre.«
Alyss sah sie verdutzt an.
»Unterstellst du dem Ritter unehrenhaftes Verhalten? Immerhin hat er einem ihm Unbekannten Hilfe geleistet, was mehr ist, als die meisten Menschen zu tun pflegen, allen Predigten zum Trotz.«
»Natürlich hat Ritter Arbo in vorbildlicher christlicher Nächstenliebe gehandelt, zumindest von dem Augenblick an, als er den Sterbenden im Burggraben gefunden hat. Nein, Alyss, ich möchte dein Augenmerk auf etwas anderes lenken. Ehre ist ein hohes Gut, und ein ehrenvolles Leben
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