Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Abenddämmerung an Land gingen, musste Gimbar sie binden. Und Benith prüfte die Fesseln.
Am Abend des dritten Tages auf See hatte der Wind noch einmal aufgefrischt. Als die Sonne in einem schmalen Streifen zwischen dunklen Wolken und dem Horizont ins Meer tauchte, stellte Gimbar unmutig fest: »Ich schätze, wir werden diese Nacht auf See verbringen müssen. Die Küstenlinie ist hier voller Klippen und es wäre zu gefährlich, sich bei diesem Seegang dem Land zu nähern.«
Benith blickte seltsam teilnahmslos nach backbord und nickte. »Du übernimmst die erste Wache«, bestimmte er und fügte hinzu: »Ich werde dann bis zum Morgengrauen das Ruder übernehmen. Wir werden morgen Gelegenheit finden uns auszuruhen.«
Yonathan hatte noch lange wach gelegen. Die Plane, die über den Bug der Mücke gespannt worden war – hauptsächlich, um die Vorräte trocken zu halten –, diente jetzt ihm und Yomi als Schutz. Eigenartigerweise hatte selbst Benith nichts dagegen gehabt, dass die beiden Gefangenen dort Zuflucht suchten. Kurz nachdem Gimbar von Benith abgelöst wurde, schlief Yonathan ein.
Am Morgen wurde er durch einen Wortwechsel geweckt, der sich nur als Streit deuten ließ. »So etwas habe ich noch nie gehört«, hörte er Gimbar schimpfen. »Wie konnte das nur passieren? Wolltest du damit gegen die Wellen ankommen?«
»Es lag am Sturm«, verteidigte sich Benith müde. »Du hast es doch selbst erlebt, als du am Ruder warst.«
»Was ist denn so unheimlich Schlimmes passiert?«, mischte sich Yomi ein; er und Yonathan hatten sich inzwischen unter der Plane hervorgearbeitet.
»Er hat die Ruderpinne abgebrochen«, antwortete Gimbar, während er mit dem Kopf auf Benith deutete.
»Nicht ich, sondern der Sturm hat sie abgebrochen«, widersprach Benith.
Gimbar beendete das Streitgespräch und machte sich stattdessen daran, eine Notpinne anzufertigen. Er klemmte den flachen Schaft des Ruders zwischen den Stiel einer Axt und den abgebrochenen Rest der alten Pinne und band beides fest zusammen. Zum Glück hatte der stürmische Wind nachgelassen; der Notbehelf sollte eine Zeit lang halten.
Während Yonathan all dies beobachtete, fühlte er wieder dasselbe eigenartige Prickeln auf der Kopfhaut wie schon beim ersten Zusammentreffen mit Benith. Er wusste, dass der Pirat etwas im Schilde führte. Doch was sollte er tun, auf einem kleinen Segelschiff, mitten im Golf von Cedan? Zorn stieg in ihm auf und als er die Stimme erhob, klang sie selbst für ihn fremd.
»Was habt Ihr mit uns vor, Benith?«
Die drei Mitreisenden erstarrten. Plötzliche Ruhe trat ein. Scheue Blicke wurden gewechselt, einige streiften Yonathan.
Dieser hatte die Augen fest auf Benith geheftet und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie Haschevets Spiel mit seiner Stimme auch ihn verwirrte.
Yomi und Gimbar blickten ebenfalls auf Benith. Zum ersten Mal wirkte der Sohn des Ith unsicher. Er wich dem Blick Yonathans aus, indem er sich umdrehte und die dunkle Küstenlinie im Norden studierte. Langsam gewann er seine Fassung zurück. Ohne den Blick von den dunstverhangenen Klippen in der Ferne zu nehmen, antwortete er in gewohnt teilnahmslosem Ton: »Ich kenne mich hier gut aus. In der Nähe gibt es eine geschützte Bucht. Wir werden dort an Land gehen und den Schaden reparieren.«
Gimbar nahm diesen Vorschlag, der eher wie ein Befehl klang, widerspruchslos entgegen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Yonathan, den er wie gebannt anstarrte, so, als wolle er niemals wieder damit aufhören.
Zu allem Unglück hatte der Wind gedreht. Er wehte nun von Osten her, sodass Gimbar und Benith alle Hände voll zu tun hatten gegen den Wind zu kreuzen. Nach knapp drei Stunden angestrengten Manövrierens umsegelte die Mücke eine hundert Fuß hohe felsige Landzunge, hinter der die Bucht liegen musste.
Als sie die letzte Klippe hinter sich ließen und mit dem Wind in den Naturhafen einliefen, blieb Yonathan der Atem weg. In der Bucht lag ein großes, schlankes Segelschiff vor Anker. Der schwarze Bug war den Ankömmlingen wie zum höhnischen Gruße zugewandt. Auf seinen Planken stand ein einziges Wort in roten Lettern, ein neuer Name für Verrat: Narga.
Das Misstrauen gegen Benith war also berechtigt gewesen. Für einen Moment sah Yonathan Beniths Augen, sah den Triumph darin, das Gefühl der Macht.
Yomi war sprachlos vor Empörung und stand mit offenem Mund da.
Nur Gimbar wollte diesen Verlauf der Dinge nicht wortlos hinnehmen. »Verräter!«, schrie er Benith
Weitere Kostenlose Bücher