Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
holen, ließ dabei aber seine Unterlagen auf dem Tisch liegen. Dann setzte er sich mit einem langen Seufzer mir gegenüber hin und begann, seine Fragen zu stellen: Warum ich einen neuen Job suchte und ob ich gerne im Team arbeitete. Ich antwortete ihm, dass ich andere Menschen nicht besonders mochte, am liebsten allein arbeitete und auch gern ein eigenes Büro hätte. Erstaunt sah er mich an, machte sich eine Notiz und stellte dann seine nächste Frage: Wie ich mir meine Position und meine Aufgaben in der Agentur vorstellen würde. Ich erwiderte: »Ich komme jeden Morgen um neun Uhr, schreibe und telefoniere, gehe um 18 Uhr wieder und bekomme dafür von euch Geld.«
Ich hatte in dieser Art geantwortet, weil mir klar war, dass es mein Gegenüber langweilte, mir diese Fragen zu stellen. Und das sagte ich ihm dann auch. Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir damit, uns Fragen zu überlegen, die besser geeignet waren, um jemanden wirklich kennenzulernen. Es wurde ein lustiger Nachmittag.
Als wir uns verabschiedeten, meinte ich noch, dass ich ja zum Glück nicht auf seinen Anruf bezüglich des Jobs warten musste, denn in seinen Unterlagen hatte ich, als er den Raum verlassen hatte, einen Vermerk seines Chefs entdeckt, den dieser letzte Woche neben meinem Namen gemacht hatte: Journalistin aus Berlin, sofort einstellen.
Dominique Le Parc, deutsch-französischer Managertrainer, hat schon viele Vorstandsmitglieder großer Unternehmen, Programmredakteure, Fernsehmoderatoren und Schauspieler beraten und weiß, wie solche Bewerbungsgespräche, in denen Quizfragen wie »Wie schwer ist Manhattan?« oder »Wie viele Smarties passen in einen Smart« gestellt werden, zustande kommen: »Entweder sitzt vor einem ein Chef eines Mittelstandsunternehmens, der überhaupt keine Ahnung hat, was er will und wen er braucht, und der einem in seiner Hilflosigkeit solche Fragen stellt, oder in dem Unternehmen gibt es gar keine Arbeit. Viele Unternehmen inszenieren nämlich solche Bewerbungsrunden, um im Gespräch zu bleiben und den Eindruck zu vermitteln, es ginge ihnen gut. Deswegen veranstalten sie so alberne Spielereien nur um hinterher ihren Bewerbern mitzuteilen, sie hätten den »hohen« Kriterien nicht entsprochen.« Er empfiehlt jedem Menschen, solch eine Behandlung abzulehnen.
Wer Sie will, will Sie –
und keinen anderen.
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Sie müssen Ihre eigene Methode entwickeln, um sich solchen Spielchen zu entziehen. Ralf Schmerberg, 45 Jahre, Fotograf, Filmemacher und einer der gefragtesten Werbefilmer Deutschlands, gibt folgenden Bewerbungstipp: »Ich würde mich nie in eine Situation begeben, in der ich einer von vielen Möglichen bin. Denn das bedeutet immer, dass man ja auch einen anderen nehmen kann als mich. Und das will ich nicht. Ganz gleich, ob es um einen Job geht, um eine Wohnung oder eine Frau. Ich mag nicht von der Person abhängig sein, die auswählt. Statt mich darzustellen, entwickle ich lieber Ideen. Wenn die dann auf Zustimmung stoßen, ist es okay, wenn nicht – es gibt noch mehr auf der Welt.«
»Weil sich die strukturelle Situation auf dem Arbeitsmarkt ändert, sind in den Betrieben beziehungsweise großen Unternehmen ganz andere Leute gefragt«, meint auch Dominique Le Parc, »nämlich solche, die neue Geschäftsfelder und neue Gewinnmöglichkeiten erschließen. Mit anderen Worten, die Braven, die sich geschickt anpassen wollen und ihre Pflicht erledigen, werden immer weniger gebraucht und die, die Strukturen einreißen, immer mehr. Sie können sich dem Bewerbungszinnober entziehen und trotzdem Erfolg haben.«
Ralf Schmerberg bewirbt sich nicht und hat auch für die Bewerbung anderer bei ihm eigene Vorstellungen: »Ich will nicht, dass ein anderer Mensch mir was vortanzt, ich möchte jemanden kennenlernen. Viele Leute, die zu mir kommen, sagen: Ich bin so beeindruckt von deiner Arbeit, deinem letzten Projekt, deinem letzten Film, und ich habe mir alle deine Fotos auf deiner Website angesehen.
Dann beteuern sie, dass sie unbedingt mit mir arbeiten wollen. Das Übliche eben. Ich stelle in einem solchen Fall nur eine Frage: Willst du mit mir arbeiten? Dann bleib gleich hier. Die meisten verwickeln sich in Ausreden, warum das nicht geht, sie müssen hier und da absagen und noch mal überlegen. Es gibt aber ein paar, die sagen: Ich muss nur einen Anruf erledigen, dann kann ich anfangen – was soll ich tun? Mit dieser einfachen Frage prüfe ich, ob jemand wirklich will, was er vorgibt. Jeden, der
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