Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
glaubst, es besser zu wissen.
Bleib den Regeln treu, nach denen du erzogen wu r dest. Meide schlechte Gesellschaft und bedenke stets, du wurdest zum Soldaten geboren. Der gütige Gott hat dir dieses Privileg gewährt. Lass es dir von niemandem wegnehmen.«
Und mit diesen Worten umarmte er mich fest. Ich kniete nieder, um mir seinen väterlichen Segen erteilen zu lassen. Ich weiß, ich muss zugeschaut haben, wie er in die Kutsche stieg und davonfuhr, und ganz sicher werden wir uns gegenseitig zum Abschied gewinkt haben. Aber ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich am Ra n de des Fahrwegs stand, der Kutsche hinterher schaute und mich so allein fühlte wie noch nie in meinem Leben. Ich fühlte mich plötzlich kalt und leer, und mir war fast übel, als ich mich umdrehte und zurück zu meinem neuen Quartier eilte.
Meine Mitbewohner erwarteten mich und ließen mich wissen, dass mein Vater großen Eindruck auf sie g e macht hatte. »Da gibt’s kein Vertun: ein echter Kavall e rist; das sieht man sofort an seinem Gang. Dein Vater ist ein toller Kerl. Ich wette, er hat in seinem Leben ebenso viele Stunden im Sattel verbracht wie auf den Beinen.«
»Ich glaube, sogar noch mehr«, erwiderte ich auf Korts Kompliment. Wir verbrachten den restlichen Nachmittag damit, uns in unserer Stube häuslich einz u richten. Drei Mitbewohner unseres Trakts kamen von gegenüber und stellten sich vor. Trist, Gord und Rory waren allesamt Soldatensöhne von neuen Edelleuten. Gord war ein ziemlicher Brocken, blass und feist; sein Nacken wölbte sich über den Kragen seiner Uniform, und seine Uniformjacke spannte dermaßen, dass ich fürchtete, die Knöpfe würden jeden Moment abspringen. Er stand am Rande der Gruppe, lächelte verlegen und sagte wenig. Trist war hochaufgeschossen und hatte goldblondes Haar; mit seiner Haltung und seinem stra h lenden Lächeln hatte er die Ausstrahlung eines jungen Prinzen. Gleichwohl war es der gedrungene, leutselige Rory, der unser aller Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ich habe gehört, sie haben uns alle mit Absicht zusammeng e legt«, sagte er mit ernstem Blick.
»Etwa weil sie finden, dass wir kein Umgang für die Soldatensöhne d es alten Adels sind?«, fragte Kort, gle i chermaßen verblüfft wie gekränkt.
»Nein. Damit sich ihre Burschen uns gegenüber nicht unterlegen fühlen.« Rory grinste wie über einen guten Witz. »Sie sind zwar Soldatensöhne, aber sie sind nicht zu Soldaten erzogen worden, so wie wir. Die Hälfte von ihnen hat noch nie auf einem Pferd gesessen, außer vie l leicht beim Ponyreiten im Vergnügungspark. Das werdet ihr sehen, wenn wir mit der Ausbildung anfangen. Der Soldatensohn meines Onkels ist bei uns aufgewachsen, weil wir das in unserer Familie eben immer so machen. Die Erstgeborenen geben ihre Soldatensöhne in die F a milie ihrer Soldatenbrüder, damit der Junge schon als kleiner Bub eine richtige Ausbildung bekommt. Mein Vetter Jordie hat vor vier Jahren seine Ausbildung hier auf der Akademie gemacht und mir jeden Monat einen Brief geschrieben. Ich hab also eine ziemlich gute Vo r stellung davon, was uns hier erwartet.«
Sofort scharten wir uns um ihn. Während der nächsten Stunde saßen wir an den Studiertischen in unserem G e meinschaftszimmer, und Rory unterhielt uns mit G e schichten von strengen Ausbildern, von Kadetten, die zur Strafe für irgendwelche Vergehen die Ställe ausmisten mussten, von Schikanen seitens älterer Kadetten, und mit allen möglichen Anekdoten, die ihm sein Vetter vom Al l tag an der Akademie erzählt hatte. Er war der geborene Geschichtenerzähler und dazu ein großer Schauspieler vor dem Herrn: Er blies sich auf und stolzierte herum, wenn er von jungen Offizieren sprach, und duckte sich ängstlich, wenn er uns Neulinge mimte. Er hielt uns in angstvollem Bann, als er uns theatralisch vor sogenan n ten »Aussonderungen« warnte. »Der Kommandeur kann dergleichen ansetzen, wann immer ihm der Sinn danach steht, ganz nach Lust und Laune. Das kann genauso gut eine Drillübung sein wie ein Geographietest. Jeder K a dett, der unter eine bestimmte Punktzahl fällt, ist raus. Aussortiert wie ein zu dünnes Lamm. Sie schicken ihn nach Hause mit einem Brief, auf dem steht: ›Der Kadett Soundso hat den Anforderungen der Akademie nicht g e nügt; danke, dass Sie ihn trotzdem hergeschickt haben.‹ Und ihr wisst ja, was nach so was für einen Soldatensohn angesagt ist. Dann heißt es der Offiziersmesse Lebewohl sagen und sich mit dem
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