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Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Titel: Nur zu deinem Schutz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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hoch und blieb vor der angelehnten Tür stehen. Myron saß am Computer und skypte – um zwei Uhr morgens? Was hatte das zu bedeuten?
    »Ich kann hier im Moment leider nicht weg«, hörte ich ihn sagen.
    »Das verstehe ich«, erwiderte die Frau. »Ich auch nicht.«
    Mit wem unterhielt er sich? Moment mal – versuchte er etwa gerade online, eine Frau aufzureißen? Und keiner von beiden wollte die Fahrt zum anderen auf sich nehmen? Ekelhaft.
    »Ich weiß«, sagte Myron.
    »Carrie ist noch nicht so weit«, sagte die Frau.
    Oh-oh. Wer war Carrie? Eine zweite Frau? Noch ekelhafter.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte mein Onkel.
    »Ich möchte, dass du glücklich bist, Myron«, sagte die Frau.
    » Du machst mich glücklich«, sagte er.
    »Ich weiß. Du machst mich auch glücklich. Aber ich fürchte, wir müssen anfangen, zu akzeptieren, dass die Dinge nun mal so sind, wie sie sind.«
    Jetzt klangen sie nicht mehr wie Fremde auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer, sondern wie zwei Menschen mit gebrochenem Herzen. Ich spähte vorsichtig in den Raum. Myron hielt den Kopf gesenkt. Im Fenster auf dem Bildschirm war eine dunkelhaarige Frau zu sehen.
    »Vielleicht hast du recht«, sagte er. »Vielleicht müssen wir das wirklich.« Er legte seine Hand an die Stelle auf dem Bildschirm, wo ihre lag. »Aber nicht heute Nacht, okay?«
    »Okay.« Die Stimme der Frau klang unglaublich zärtlich. »Ich liebe dich, Myron.«
    »Ich liebe dich auch«, sagte Myron.
    Plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Was hatte ich eigentlich hier zu suchen? Ich hatte keine Ahnung, wer diese Frau war oder worüber die beiden sich unterhielten. Ich hatte Myron nie gefragt, ob er eine Freundin hatte, weil es mich im Grunde nicht interessierte.
    Leise schlich ich in mein Zimmer im Keller zurück, machte mich bettfertig und schlüpfte unter die Decke.
    Ich fragte mich, warum Myron und die Frau so traurig geklungen hatten, wer Carrie war und warum die beiden sich im Moment nicht sehen konnten, aber meine Gedanken schweiften bald zu einem anderen Thema ab, das mich mehr beschäftigte. In ein paar Stunden würden wir nach Los Angeles fliegen und das Grab meines Vaters besuchen. Ich war mir eigentlich sicher, dass ich deswegen vor lauter Anspannung den Rest der Nacht kein Auge zutun würde, aber dann schlief ich auf der Stelle ein.
    Ich kenne meine Großeltern zwar noch nicht so lange, aber soweit ich es bis jetzt beurteilen kann, sind sie die coolsten Großeltern der Welt.
    Ellen und Al Bolitar – »Wir sind El-Al«, scherzt meine Großmutter gern, »wie die israelische Fluggesellschaft« – begrüßten uns am Los Angeles International Airport. Grandma lief mit ausgebreiteten Armen auf Myron und mich zu und umarmte uns, als wären wir gerade nach einer zu Unrecht verbüßten Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden – kurz: genau so, wie es sich für eine Großmutter gehörte. Sie drückte uns fest an sich, dann musterte sie uns prüfend von oben bis unten, um sich zu vergewissern, dass alles so war, wie es sein sollte.
    »Ihr beide seht einfach umwerfend aus«, sagte sie.
    Ich hatte nicht das Gefühl, umwerfend auszusehen. Ich trug einen von Myrons Anzügen. Er saß alles andere als perfekt. Grandpa trat zu uns, er benutzte einen Gehstock und kam nur sehr langsam vorwärts. Myron und ich küssten den alten Mann auf die Wange, wie wir es immer taten. Grandpa war noch ganz schmal und blass, weil er erst kürzlich eine Operation am offenen Herzen überstanden hatte. Ich versuchte, mein schlechtes Gewissen deswegen zu verdrängen, was jedoch nichts daran änderte, dass ich mich zumindest teilweise dafür verantwortlich fühlte. Grandpa sah das zwar völlig anders und war davon überzeugt, dass ich ihm an diesem Tag das Leben gerettet hatte, doch ich hatte da so meine Zweifel. Als würde er meine Gewissensbisse spüren, drückte Grandpa mir besonders liebevoll die Schulter. Ich weiß nicht, warum, aber diese kurze Berührung tröstete mich mehr, als sonst irgendetwas es gekonnt hätte.
    Myron hatte einen Mietwagen für uns reserviert und wir fuhren schweigend zum Friedhof. Grandma und ich saßen auf der Rückbank. Sie hielt meine Hand und fragte nicht nach meiner Mutter, obwohl sie sicher wusste, was passiert war. Ich liebte sie dafür.
    Als wir auf den Friedhofsparkplatz einbogen, fing ich am ganzen Körper an zu zittern. Myron stellte den Motor ab und wir stiegen aus. Die Sonne brannte auf uns herab.
    »Es ist dort oben auf dem Hügel«,

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