Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
ähnliches Bild erwartete.
Entschlossen klopfte ich, lauschte vergeblich auf Antwort, versuchte es ein zweites und drittes Mal.
»Paige? Hier ist Vanessa. Kann ich reinkommen?« Ich presste mein Ohr an die Tür, hörte aber nichts außer dem gleichmäßigen Rauschen von Wasser. »Bitte«, wisperte ich, während ich den Türknauf drehte, »bitte, lass alles in Ordnung sein …«
Genau wie das andere Zimmer wurde auch das Bad nur von einem Nachtlicht erhellt. Aber die Beleuchtung reichte aus, um auf den ersten Blick sehen zu können, dass überhaupt nichts in Ordnung war. Ich war zu spät gekommen.
Ihr regloser Körper wurde von schweren Türstoppern aus Metall unter Wasser gehalten, die auf ihrem Bauch, ihren Armen und Beinen lagen. Ihre Haut war weiß, ihre Lippen blau. Noch immer strömte Wasser aus dem Hahn in die überlaufende Wanne und ließ Paiges Haar um ihr aufgequollenes Gesicht schweben.
Auf einem kleinen Porzellanregal an der Wand standen leere Salzpackungen aufgereiht, und in dem Wasser, das den Fliesenboden überschwemmte, trieb ein Buch mit weißem Einband. Buchstaben glänzten golden im dämmrigen Licht.
Mein ganzer Körper schien taub zu werden, als ich die französischen Wörter sah, die in zierlicher Schrift den Einband schmückten.
La vie en rose.
Zaras Tagebuch.
* * *
Das Wartezimmer im Krankenhaus roch nach Reinigungsbenzin und Kartoffelchips. Diese Mischung war nicht gerade geeignet, meinen Magen zu beruhigen, der nicht aufgehört hatte zu krampfen, seit ich eine Dreiviertelstunde zuvor die Badezimmertür geöffnet hatte.
»Du solltest etwas essen.« Mom legte mir eine Hand aufs Knie.
»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte ich.
»Du bist schweißnass und zitterst. Eine Mahlzeit ist jetzt genau das, was du brauchst.«
Ich gab keine Antwort. Auf der anderen Seite des Wartezimmers saß ein kleines Mädchen und musterte mich nervös. Ich versuchte zu lächeln, doch das Ergebnis brachte es nur dazu, das Gesicht im Pulli seiner Mutter zu verstecken.
»Einen Salat schafft man immer«, verkündete Mom und stand auf. »Ich werde dir einen besorgen, und dann rufe ich deinen Vater an.«
»Du hast ihn in der letzten Viertelstunde schon zwölfmal angerufen«, protestierte ich schwach.
»Und das werde ich so lange wiederholen, bis er den Hörer abnimmt.«
Ich musste ihre Entschlossenheit bewundern, genau wie die unerschütterliche Ruhe, mit der sie alles gemanagt hatte. Meine Erinnerungen an die ersten Momente, nachdem ich Paige gefunden hatte, waren sehr vage. Ich wusste, dass ich geschrien und ihren Körper aus der Wanne gezogen hatte. Verschwommen hatte ich auch bemerkt, dass Mom in den Raum gekommen war. Und nun befanden wir uns irgendwie im Wartezimmer des Krankenhauses, und Paige wurde ärztlich behandelt. Anscheinend hatte mein Schrei ausgereicht, um Mom aus ihrem seltsamen Tagtraum erwachen zu lassen und sie zurück in die Realität zu befördern, als sei nichts geschehen.
Wenn man die Gesamtsituation betrachtete, war das nur ein kleines Wunder, aber ich war trotzdem dankbar dafür.
Kaum war Mom in den Fahrstuhl verschwunden, stand ich auf und schleppte mich zum Empfangstresen.
»Entschuldigen Sie«, murmelte ich und musste mich abstützen, damit meine Beine nicht versagten. »Gibt es etwas Neues? Über Paige …«
»Marchand.« Die Empfangsdame, eine ältere Frau mit übertrieben blonder Dauerwelle, musterte mich über den Rand ihrer mit Strass geschmückten Brille hinweg. »Ich weiß das so genau, weil du schon zwölfmal gefragt hast.«
Anscheinend war Mom nicht die Einzige, die auf eine Krise mit wilder Entschlossenheit reagierte.
»Ihr geht es den Umständen entsprechend«, teilte mir die Empfangsdame mit. »Noch immer in einem kritischen Zustand, aber sie kämpft sich durch.«
»Danke. Sagen Sie mir Bescheid, wenn sich ihr Zustand ändert?«
Sie hob die Hand wie zum Schwur und lächelte. »Aber meinetwegen kannst du so oft fragen, wie du willst.« Gerade hatte ich mich umgedreht, da fügte sie noch hinzu: »Ist mit dir alles in Ordnung? Du wirkst ein bisschen schwach auf den Beinen.«
»Mir geht es gut«, versicherte ich und winkte ab. »Danke der Nachfrage.«
Als ich wieder auf die Stuhlreihe im Wartezimmer zuging und das kleine Mädchen mich kommen sah, lehnte es sich näher an seine Mutter und flüsterte: »Da ist wieder diese Frau. Was stimmt mit ihr nicht?«
An diese Frage sollte ich mich wohl besser gewöhnen, denn mein Zustand – mit dem etwas ganz und gar nicht
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