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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Funaro
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nichts weiter als ein knappes Ja, Nein und Vielleicht für ihn übrig.
    Schließlich vergab ihm der Alte – er sagte nie etwas, aber Edmund erkannte es an der Art, wie er und Rally ihn wieder normal ansahen. Edmund geriet in diesem Jahr noch in viele weitere Schlägereien, aber Claude Lambert holte trotzdem nie die Medizin aus dem Keller. Der Junge ging sie eines Abends sogar suchen, als sein Großvater im Wohnzimmer eingeschlafen war – obwohl er geschworen hatte, es nie zu tun –, konnte sie aber nirgendwo finden. Edmund war immer noch unheimlich zumute, wenn er allein in den Keller ging, aber merkwürdigerweise stellte er fest, dass er sich nicht nur nach der Medizin sehnte – mehr als nach irgendetwas anderem sehnte er sich auch nach dem General.
    Edmund hatte schon vor dem Jagdausflug zum letzten Mal vom General geträumt, hatte seit seiner Kindheit nicht mehr mit seinem Großvater über ihn gesprochen und begann sich zu fragen, ob er überhaupt je von ihm geträumt hatte. Und deshalb erkundigte er sich bei der Schulbibliothekarin nach Bürgerkriegsschlachten, die in Wilson stattgefunden hatten. Sie sagte, sie wüsste von keiner, und riet ihm, im Lexikon nachzusehen. Edmund tat es und entdeckte, dass im gesamten County Wilson nicht eine einzige Bürgerkriegsschlacht geschlagen worden war. Am nächsten schien noch die Schlacht von Bentonville gewesen zu sein, nahe der heutigen Stadt Four Oaks – mehr als sechzig Kilometer entfernt nach Edmunds Berechnungen und sicherlich nicht nahe genug, damit man den verwundeten General bis auf ihr Grundstück getragen haben konnte.
    Er fragte seinen Großvater danach.
    »Vermutlich ist der General jemand, den du dir ausgedacht hast«, sagte der Alte. »Du hattest immer eine sehr lebhafte Fantasie, Eddie.«
    »Aber du warst doch derjenige, der mir das Zeug vom Bürgerkrieg erzählt hat.«
    »Ich erinnere mich nicht«, sagte sein Großvater. »Wahrscheinlich habe ich das alles nur gesagt, damit es dir besser geht, auch wenn es nicht gestimmt hat. So wie das C’est mieux d’oublier. Früher habe ich diese Worte zu dir gesagt, weil ich dachte, es seien Zauberworte. Aber schau, was passiert ist? Es waren überhaupt keine. Wären es Zauberworte gewesen, hätten sie dich wohl kaum aus dem Baseballteam geworfen, oder? War wohl meine eigene Schuld. Die Scheißgleichung war falsch, zurück auf Start.«
    Edmund hatte keine Ahnung, wovon sein Großvater sprach und fragte: »Aber was ist mit der Medizin? Die hast du mir früher gegeben, damit es mir besser geht, wenn ich verletzt war, aber jetzt gibst du sie mir nicht mehr.«
    »Du hast zu viel davon bekommen«, sagte sein Großvater schlicht. »Ist nicht mehr gut für deinen Kopf, schätze ich. Abgesehen davon ist keine mehr übrig.«
    47
    Edmund kam auf die Idee, die Katze zu töten durch den Bock, den sein Großvater Jahre zuvor für ihn an die Wand montiert hatte. Er wusste nicht, wieso das Bild der an das Hirschgeweih gespießten Katze plötzlich in seinem Kopf auftauchte, während er seine Geometriehausaufgabe machte. Und er wusste noch weniger, warum es ausgerechnet sein erster Bock war und nicht einer der vielen anderen, die sein Großvater und er im Lauf der Jahre im Wohnzimmer aufgehängt hatten. Vielleicht, dachte Edmund, lag es daran, dass er von einer Muschi taggeträumt hatte. Von Erin Jones und ihrem ersten Mal auf dem Rücksitz ihres engen Honda Civics. Sie war sechzehn, er fünfzehn. Sein erstes Mal, nicht ihres. Hatte Spaß gemacht, war aber nichts Besonderes gewesen, nicht annährend so aufregend, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber die Idee mit der Katze erregte ihn plötzlich mehr als die Erinnerung an Erin Jones, erregte ihn sogar mehr als die Vorstellung, es mit Karen Blume zu tun, die so ziemlich das ganze Schuljahr über der Star seiner Wichsfantasien gewesen war.
    Auf der Suche.
    Die Katze? War es das, wonach er gesucht hatte?
    Es fühlte sich an wie die Antwort, und eine ganze Woche lang bekam Edmund Lambert das Bild nicht aus seinem Kopf.
    Edmund und sein Großvater hatten rund ein halbes Dutzend Katzen, die auf dem Anwesen herumstreiften – alle immer draußen, alle frühere Streuner. Zwei von den neuen waren immer noch wild und kamen nur unter der hinteren Veranda hervor, wenn Edmund ihnen ihr Fressen hinstellte. Sie waren nicht kastriert wie die anderen, hatten noch nicht einmal Namen, und Edmund wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Wurf fällig war und er und Rally sie

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