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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Funaro
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andere Mal, da Edmund den Verdacht hatte, sein Großvater könnte ihm die Medizin ohne sein Wissen untergejubelt haben, war bei ihrem ersten Jagdausflug im Norden des Staates, als er und der Alte nebeneinander im Wald pinkelten.
    »Was hast du da an deinem Pimmel, Eddie?«, fragte Claude Lambert.
    »Ich schätze, mir wachsen die Schamhaare, weiter nichts.«
    Sein Großvater zog den Reißverschluss hoch und sah auf Edmunds Zwickel hinunter.
    »Teufel noch eins«, sagte Claude Lambert, lächelte und wies Edmund an, den Hosenstall zu schließen. Dann gingen sie zur Hütte zurück.
    »Was ist da drin?«, fragte Edmund, als sein Großvater mit dem Flachmann aus dem Badezimmer kam.
    »Du bist jetzt ein Mann«, sagte Claude Lambert. »Und ein Mann verdient einen Drink.« Er gab ihm den Flachmann. »Trink aus. Da ist gerade genug für dich drin.«
    »Es riecht furchtbar«, sagte Edmund. Er kannte diesen Geruch gut, hatte ihn viele Male im Atem seines Großvaters gerochen. Der schwarzgebrannte Lakritz-Schnaps.
    »Da hast du recht«, sagte Claude Lambert. »Und kann sein, dass du dich leicht bekloppt fühlst. Aber das gehört alles dazu, ein Mann zu sein.«
    Aber da ist noch etwas, das anders riecht, dachte Edmund. Stärker als das Süßholz, ein bisschen wie Pine-Sol.
    »Es wird dir auch helfen zu schlafen«, sagte sein Großvater. »Wir brauchen noch eine Mütze Schlaf, bevor es auf den Hochsitz geht. Schließlich müssen wir ausgeruht sein für unseren Zwölfender, was?«
    Edmund trank den Flachmann leer. Und tatsächlich fühlte er sich nicht nur benebelt, sondern er schlief auch bald ein. Er war immer noch benommen, mit diesem schweren, klebrigen Gefühl im Kopf, als ihn sein Großvater später weckte, weil sie zum Hochsitz gehen mussten.
    »Dieses Zeug, das du mir zu trinken gegeben hast, fühlt sich fast genau wie die Medizin an«, sagte Edmund.
    »Ja«, antwortete sein Großvater. »Aber es fühlt sich auch anders an, oder? Und du fühlst dich jetzt anders nach diesem Drink, oder nicht, Eddie? Anders, als wenn du deine Medizin nimmst. Du fühlst dich mehr wie ein Mann, findest du nicht?«
    Edmund konnte nicht sagen, ob er sich mehr wie ein Mann fühlte, aber er war jedenfalls ganz ruhig bei dem Gedanken, in den Wald zu gehen und seinen ersten Hirsch zu töten – er war nicht ängstlich wie zuvor. Nein, jetzt hatte er den Eindruck, den Hirsch zu töten sei etwas, das er einfach tun müsse – irgendwie, als wäre er in einem Auftrag unterwegs, dachte er –, aber gleichzeitig sah er ständig diese merkwürdigen Schatten in seinem Kopf und wusste, sie hatten mit Gewehren und Jäger sein zu tun und mit: C’est mieux d’oublier.
    »Du wirst sehen, was ich meine, wenn es so weit ist«, sagte der Alte.
    Und obwohl sein Großvater immer wieder beteuerte, wie stolz er sei, weil sein Enkel seinen ersten Drink wie ein Mann vertragen habe, schlief Edmund ein, kaum dass sie sich auf dem Hochsitz eingerichtet hatten. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als er den Ellbogen seines Großvaters in der Seite spürte. Und als er die Augen öffnete, bemerkte er sofort, dass es dunkler geworden war im Wald.
    Und dann sah er ihn: ein einzelner Bock auf der Lichtung.
    Das Herz des Jungen hämmerte ihn augenblicklich wach.
    Ohne einen Laut gab ihm der Alte das Gewehr. Edmund schätzte, dass der Bock etwa fünfzig Meter entfernt war, und richtete das Visier ruhig auf ihn, wie es ihm sein Großvater im Herbst zuvor beigebracht hatte, als er den Jungen mit ein paar wilden Truthähnen hatte üben lassen, die in den Wäldern rund um die Farm herumstocherten. Edmund hatte keinen von ihnen getroffen, aber im Sommer hatten er und der Alte auf Zielscheiben geschossen, um sich auf diesen Moment vorzubereiten.
    Edmund holte tief Luft, atmete langsam aus und wappnete sich für den Rückschlag – er war immer noch nicht daran gewöhnt, seine Schulter schmerzte danach noch tagelang – als er plötzlich, ohne nachzudenken, abdrückte und – Bum.
    Der Bock sank zu Boden.
    Claude Lambert griff sich das Gewehr, und die beiden kletterten vom Hochsitz. Sie überbrückten die Entfernung rasch und verlangsamten erst die letzten zehn Meter, um sich dem Tier vorsichtig zu nähern. Und kurz bevor sie ihn erreichten, gab der Alte seinem Enkel das Gewehr zurück. »Noch einen in den Hinterkopf für den Fall, dass er nicht tot ist.«
    Edmund schoss noch einmal auf den Bock.
    »Ein Achtender«, sagte sein Großvater, als sie sich über das

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