Optimum 1
gingen Leute ja zum Arzt, weil sie etwas von ihm wollten.
Rica räusperte sich, als das Schweigen zu unangenehm wurde. »Hm … Frau Jansen meinte, ich muss mit Ihnen sprechen, bevor ich Therapiesitzungen bei ihr nehmen kann«, meinte sie etwas verlegen. »Was muss ich denn dafür tun?« Sie lachte nervös. »Mich irgendwie verrückt verhalten, oder wie geht das jetzt?«
Herr Langfeld zeigte nicht einmal den Anflug eines Lächelns. Er nahm seine Brille ab und seufzte. »Man ist nicht verrückt, bloß weil man Therapiestunden braucht, Ricarda«, sagte er in einem sanften Guter-Onkel-Tonfall. »Im Gegenteil, solche Leute, die erkannt haben, dass sie ein Problem haben, sind oft viel gesünder als andere, verstehst du?«
Rica zuckte mit den Schultern. Es war ihr herzlich egal, ob sie verstand oder nicht. Hauptsache, sie bekam die Gelegenheit, Frau Jansen auszuhorchen. »Also, was machen wir jetzt?«, fragte sie erneut.
»Erst einmal müssen wir ein paar Untersuchungen machen«, antwortete Herr Langfeld und erhob sich. »Wir messen Blutdruck und nehmen ein paar Blutproben und so was. Reine Routine. Um körperliche Ursachen, so weit es geht, auszuschließen, weißt du?«
»Blutproben?« Rica schauderte. Sie hasste Nadeln und ließ sich schon beim Zahnarzt nur sehr ungern Spritzen geben. Am liebsten hätte sie widersprochen, aber dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis, dass sie das alles hier ja nicht anders gewollt hatte. »Okay, wenn es sein muss.« Gleichgültigkeit vorzuspielen, fiel ihr dieses Mal sehr schwer.
»Dann komm bitte mit!« Herr Langfeld führte sie durch eine Seitentür in den Nachbarraum, der viel mehr nach Arztpraxis aussah, komplett mit Liege, Waage, Schränken mit Medikamenten und dergleichen anderem Zeug. Es gab noch eine weitere Tür, und Rica überlegte einen Moment lang, ob die wohl in einen OP führte, so mit Oberlichtern und einem Sezierbesteck auf einem Tablett. Unsinn , sagte sie sich, deine Fantasie geht mit dir durch. Wir sind hier doch nicht bei Frankenstein.
Aber diese Gedankenspiele hielten sie beschäftigt, während Herr Langfeld ihr Blut abnahm, den Blutdruck maß und ihre Brust mit dem Stethoskop abhorchte. Rica konnte sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass er nach dem Abnehmen der Blutprobe nur noch halbherzig und der Vollständigkeit halber arbeitete. Misstrauisch schielte sie auf die fünf blutgefüllten Röhrchen, die er auf einem Tablett abgelegt hatte. Warum hatte er eigentlich gleich so viele gefüllt? Was war es denn, worauf man ihr Blut so dringend untersuchen musste? Sie musste mit Gewalt den Impuls unterdrücken, sich die Röhrchen zu schnappen und mit ihnen aus dem Büro zu fliehen. Nein, Rica, du stehst das hier jetzt durch, und wenn du Glück hast, findest du dann auch noch was über Jo und Torben heraus.
Nach den Untersuchungen brachte Herr Langfeld sie ins Büro zurück. »Setz dich, bitte!«, murmelte er und sah sie immer noch nicht an.
Rica ließ sich auf den Sessel fallen, atmete tief durch und beobachtete Herrn Langfeld dabei, wie er verschiedene Felder in ihrer Akte ausfüllte und sich unleserliche Notizen dazu machte. »So, jetzt noch ein paar Fragen, dann haben wir es auch schon«, sagte er schließlich, legte seinen Stift und ihre Akte weg und sah sie zum ersten Mal, seit die Untersuchungen angefangen hatten, wieder direkt an. Um seine Mundwinkel spielte ein zufriedenes Lächeln. Rica fühlte sich an eine Hyäne erinnert. Sie lehnte sich auf dem Sessel zurück und kreuzte die Arme vor der Brust, dann wurde ihr bewusst, wie abweisend und trotzig die Geste wirken musste, und sie ließ die Hände auf die Armlehnen sinken. Sie versuchte, nicht im Geringsten besorgt auszusehen. Ganz sicher war sie sich nicht, dass er ihr das abkaufte, aber einen Versuch war es wert.
Es sind nur ein paar Fragen. Und so schlimm wie Frau Jansen kann er doch gar nicht sein.
Wie vorhin schon, musterte sie der Schularzt lange und nachdenklich und schien darauf zu warten, dass sie selbst das Gespräch begann. Doch dieses Mal tat sie ihm den Gefallen nicht. Wenn er etwas von ihr wollte, sollte er sich auch äußern, so einfach war das.
Schließlich senkte er den Blick wieder auf ihre Akte, als stünden dort die Fragen, die er stellen wollte. Umständlich blätterte er darin herum.
»Josefine Meegen war deine Freundin, nicht wahr?«, fragte er dann
Rica glaubte nicht, dass sie darauf ernsthaft antworten musste. Vermutlich wusste er das sowieso schon alles von Frau Jansen.
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