Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
von Sto. Hätte mir jemand diese Geschichte aufgetischt, ich hätte diesen Verrückten gnadenlos mit Blei vollgepumpt und ihn in den Filder geworfen, auf dass seine Gebeine in diesem nassen Grab verrotten mochten.
Doch Sto nickte nachdenklich, als sehe er in meiner Geschichte einen Sinn.
»Mei hat mir schon vor einer ganzen Weile gesagt, das sich etwas verändern würde. Sie machte ständig Andeutungen, dass etwas Großes bevorstehe. Sie fühlte einen Wandel in den Strömen. Auch die anderen Schamanen haben es gemerkt.«
»Du hältst mich also nicht für verrückt?«
Sto schenkte mir ein verschmitztes Lächeln. »Doch, das glaube ich schon, aber nicht in dieser Beziehung. Parrish, ich mache mir große Sorgen.«
Ich trat einen Schritt auf ihn zu. »Das tue ich auch. Kannst du mir sagen, wo ich die anderen Schamanen finde, Sto?«
Er strich sich mit einer Hand durchs Haar. »Das sollte ich dir eigentlich nicht erzählen, aber ich schätze, ich schulde dir etwas. Geh zu Vayu. Sie lebt in der Nähe von Torley.«
Ich drückte seinen Arm und versuchte, ein warmes Lächeln aufzusetzen. »Pass auf dich auf.«
Sto öffnete die Tür und hielt mir die Remington entgegen.
Ich nahm sie dankend an.
In Daacs Haus konnte ich mich ungestört bewegen. Ich lief durch die langen Korridore und suchte einen Weg nach draußen. Der erste Ausgang, den ich erreichte, wurde von schwerbewaffneten Soldaten umlagert. Familie, kein Zweifel. Ich fragte mich, wo sich Minoj wohl mit seinem Waffenarsenal versteckt hatte. Wen würde er unterstützen? Womöglich jeden. Verdammter Kriegsgewinnler.
Minoj ließ mich an Teece denken.
Daac hatte Teece in diese Geschichte hineingezogen. Wie tief steckte er in Daacs Geschäften? Tief genug, um mich zu betrügen?
Nein.
Ich schlich durch das Treppenhaus und suchte nach anderen Ausgängen, doch überall erwartete mich das gleiche Bild.
Damit blieb nur noch der Weg über die Dachgeschosse.
Ich bahnte mir meinen Weg in die oberste Etage und betrat ohne langes Nachdenken das erstbeste Zimmer. Es war keine große Kunst, vorherzusagen, dass ich den Raum leer vorfinden würde – mit fast hundertprozentiger Sicherheit spielten seine Bewohner gerade Cowboy und Indianer.
Im Tert waren alle Räume der obersten Etagen so konzipiert, dass sie über eine Luke Zugang zum Dachboden boten. Das Zimmer, in dem ich mich befand, bildete da keine Ausnahme, abgesehen davon, dass die Dachluke scheinbar seit längerem nicht mehr benutzt worden war. So wie ich Daac kannte, hatte er wahrscheinlich den kompletten Dachbereich mit Sprengsätzen gesichert.
Zumindest hätte ich das an seiner Stelle getan.
Ich zog eine Kiste heran und stellte mich auf sie, um die Dachluke einen winzigen Spalt zu öffnen. Ein kleiner Gegenstand war neben der Öffnung befestigt. Ein Bild von Gwynn schoss mir durch den Kopf. Wenn mir ein Sprengsatz die Arme wegreißen würde, wäre ich bei ihm sicherlich in guter Gesellschaft. Ich warf noch einmal einen Blick auf die Luke und verlor endgültig die Nerven.
Was zum Teufel tat ich hier? Ich war auf dem Weg zu einem Schamanen, der in dem gleichen Distrikt lebte wie der Mann, den ich am meisten hasste, den ich am liebsten von allen kaltmachen wollte und vor dem ich mich am meisten in Acht nehmen musste – und das inmitten eines verfluchten Bandenkriegs!
War es vielleicht nicht klüger und einfacher, den Krieg hier in Sicherheit auszusitzen? Ich konnte mir immer noch irgendeinen Psychoklempner besorgen, wenn der ganze Spuk vorüber war. Hier war ich zumindest vor der Miliz und den Medien sicher.
Oder doch nicht? War Daacs Hinweis auf die Atomwaffen vielleicht doch nicht nur ein schlechter Scherz gewesen?
Aus einem Impuls heraus stieg ich wieder von der Kiste herunter und setzte mich an die Com-Einheit des Raums. Ich brauchte nur wenige Sekunden, um eine Nachrichtensendung zu finden.
Aus einem Raubvogel heraus zeigte eine Kamera einen Panoramablick auf den Tert. Der begleitende Audiokommentar heizte die Gerüchte um einen Bandenkrieg an. Soziologen mit verkniffenen Gesichtern diskutierten die möglichen Auswirkungen für die Bürger von Viva. Bla, bla, bla.
Beim letzten Teil des Berichts klappte allerdings auch mir der Unterkiefer herunter…
»… offensichtlich sind rivalisierende Banden für die gegenwärtigen Unruhen im Tertiären Sektor verantwortlich. Eine rassistische Gruppe, die mutmaßlich von Parrish Plessis angeführt wird, strebt scheinbar nach der Kontrolle und
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