Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
hinausbegeben hatte, war er nur verwundert gewesen. Wie hatte die Gewinnerin Ann-Kristin ihr Äußeres nur so vernachlässigen können, dass sie beinahe aussah wie eine …? Ja, er wusste selbst nicht, wie sie aussah. Später dann, als sie mit einer Zigarette im Mundwinkel und einem Karton voller Bier und Coca-Cola in den Armen zurückkam und er sie von vorne betrachten konnte, kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht gar kein anständiger Mensch war.
Ein paar Stunden später wusste er, was sie war.
*
Der Mord an Hans Vannerberg hatte sich am Montagabend ereignet, jetzt war es bereits Freitag, und die Ermittlungen waren nicht einen Schritt weitergekommen. Petra Westman saß in ihrem Büro in der Polizeiwache am Nordhafen von Hammarby und starrte lustlos auf die bunten Figuren des Bildschirmschoners, die vor ihren Augen herumtanzten. Der gestrige Besuch im Hause der Vannerbergs hatte nichts gebracht außer Halsschmerzen von der Anstrengung, die es sie gekostet hatte, die Tränen zurückzuhalten. Pia Vannerberg hatte blass und ausgemergelt gewirkt und stand vermutlich leicht unter Drogen, das Beklemmendste jedoch war der Anblick der beiden stillen Kinder. Eine augenscheinlich unermüdliche Großmutter hatte versucht, sie mit Gesellschaftsspielen bei Laune zu halten, während die kleine Schwester ihren Mittagsschlaf hielt. Doch die Kinder waren lustlos und geistesabwesend. Am kommenden Montag sollten sie in die Schule und den Kindergarten zurückkehren, und das würde ihre Gedanken für eine Weile ablenken, aber ihr Leben hatte sich unwiderruflich verändert.
Den größten Teil des Freitags hatte sie mit Hans Vannerbergs Bürocomputer verbracht, ohne irgendetwas Interessantes zu finden. Mittlerweile war es schon sechs Uhr, und sie war wieder an ihrem eigenen Arbeitsplatz. Sie hätte noch bis in den späten Abend weiterarbeiten können, aber ihr waren einfach die Ideen ausgegangen, und sie dachte darüber nach, ins Fitnessstudio zu gehen, um die Endorphine in Schwung zu bringen.
»Hast du schon gehört?«
Jamal Hamad stand in der Tür und schaute sie schelmisch an. Petra legte ihren Kopf schief und schaute ihm lauernd in die Augen.
»Dass man nicht den Bildschirmschoner verwenden muss, der voreingestellt ist, wenn der Rechner geliefert wird. Man kann sich sogar eine Bildergalerie mit eigenen Fotos einrichten, die man betrachten kann, wenn man so dasitzt und Däumchen dreht. Vorausgesetzt, man hat irgendwelche Fotografien, was wiederum voraussetzt, dass man ein Leben hat. Aber das hat man nicht, wenn man nach Feierabend nicht nach Hause geht. Was durchaus erlaubt ist. Wusstest du das?«
»Eine schöne Ansprache. Und was ist der eigentliche Grund deines Besuchs?«
Jamal und Petra kannten sich schon seit ihrer Zeit in der Polizeihochschule. Sie hatten nie dieselben Kurse besucht, verkehrten zeitweise allerdings in denselben Kreisen und hatten sich nie aus den Augen verloren. Abgesehen von ihren guten Leistungen hatte es Petra möglicherweise auch Jamal zu verdanken, dass sie den Job in der Abteilung für Gewaltverbrechen in Hammarby bekommen hatte. Er war schon ein paar Jahre länger dabei als sie. Sie nahm an, dass er ein gutes Wort für sie eingelegt hatte, als sie ihre Bewerbung einreichte, aber sie hatte ihn nie danach gefragt.
»Jetzt vergessen wir das Ganze mal für eine Weile«, sagte er. »Kommst du mit auf ein Bier ins Clarion?«
»Ich dachte, es ist Ramadan.«
»Ja, vor einem Monat. Jetzt komm schon.«
Der Rechner gab ein Geräusch von sich, mit dem er signalisierte, dass sie automatisch ausgeloggt wurde, dann schaltete der Bildschirm sich ab.
»Siehst du – ein Zeichen Gottes«, sagte Jamal.
»Allah«, sagte Petra und erhob sich aus ihrem Stuhl. »Ich bin dabei.«
Nach einem zehnminütigen Spaziergang die Östgötagatan bis zum Ringvägen hinunter betraten sie die Eingangshalle des Hotels. Dort herrschte viel Betrieb. Es war kein Tisch mehr frei, aber es gelang ihnen, den letzten freien Barhocker zu ergattern. Nachdem Petra ihren Mantel und ihre Tasche an einem Haken unter der Theke aufgehängt hatte, überredete sie Jamal, sich auf den Barhocker zu setzen, und stellte sich neben ihn.
»Ich hatte gerade mit dem Gedanken gespielt, trainieren zu gehen, und dann kommst du und bringst mich vom rechten Pfad ab«, erklärte sie. »Ich habe den ganzen Tag regungslos dagesessen, also stehe ich gerne mal eine Weile. Oder beleidigt das irgendwie dein arabisch-männliches Ehrgefühl?«
»Lass gut sein.
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