Philosophenportal
behandele und dem Zweifel unterwerfe. Descartes
wird damit zum Vater und berühmtesten Vertreter des »methodischen Zweifels«.
Der zweite Grundsatz verlangt, jedes Problem in so viele Teile zu zergliedern, wie notwendig sind, um eine Lösung zu finden.
Es ist das Prinzip der Analyse: Ein Problem ist leichter zu lösen, wenn man es in verschiedene Teilprobleme auflöst. Die dritte
Regel besagt, dass man eine Ordnung im Bau der Erkenntnis dadurch schafft, dass man bei einfachen Erkenntnissen beginnt und
von dort zu den komplexeren Erkenntnissen aufsteigt. Es ist der Grundsatz der Deduktion, des Aufbaus einer Wissenschaft aus
wenigen Grundsätzen, aus denen die vielen einzelnen Gesetze logisch abgeleitet werden. In der letzten Hauptregel schließlich
fordert Descartes eine möglichst vollständige Klassifikation aller Erkenntnisse. Das Haus des menschlichen Wissens ist nach
Descartes ein durchkonstruierter Bau, in dem kein Stein fehlt und jeder seinen Platz hat.
Es soll ein Haus aus einem Guss sein, auf dessen Fundament alle Wissensbereiche, einschließlich der Moral und der Politik,
aufbauen sollen. Wie soll man aber, so fragt Descartes im dritten Teil seiner
Abhandlung,
leben, wie soll man sich in der Gesellschaft verhalten, |73| solange man auf keinem Gebiet des Wissens über sichere Grundsätze verfügt?
Descartes antwortet auf diese Frage mit einer »Moral auf Zeit«. Solange das neue Haus noch nicht bezugsfertig ist, muss man
sich außerhalb, in einer provisorischen Wohnung, einquartieren. Descartes empfiehlt wie Montaigne einen vorsichtigen Konformismus,
verbunden mit Gelassenheit und Zielstrebigkeit. Sein erster Grundsatz ist der, an den Gesetzen seines Landes und seiner Religion
festzuhalten. Der zweite verlangt, einen einmal eingeschlagenen Weg ohne Schwanken beharrlich zu verfolgen. Der dritte besteht
in der Einsicht, dass wir nur über unser Denken, nicht aber über unser Schicksal Macht haben. Schließlich sollte jeder sich
bemühen, die für ihn passende Lebensform zu finden. Er selbst habe sich dafür entschieden, sein Leben der Erkenntnissuche
zu widmen.
Nachdem er sich in einem provisorischen Haus einquartiert hat und die Bauanleitung, also die »Hauptregeln der Methode«, in
Händen hält, skizziert Descartes im vierten Teil die Fundamente, auf denen das Haus des Wissens errichtet werden soll. Die
Mathematik, die für diese Methode Pate gestanden hat, ist allein nicht imstande, diese Fundamente zu bauen. Sie liefert mit
den Prinzipien der Analyse, Intuition und Deduktion zwar wichtige methodische Werkzeuge, doch reicht sie an die Erkenntnis
der ersten Prinzipien der Wirklichkeit nicht heran. Die mathematischen Gesetze können nicht die Frage klären, ob die Gegenstände,
auf die sie sich beziehen, wirklich existieren oder nicht.
Descartes verdeutlicht dies im vierten Teil seiner
Abhandlung
an einem Beispiel aus der Geometrie: Der Satz, dass die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten Winkeln entsprechen, ist zwar
unbezweifelbar wahr, aber er sagt nichts darüber aus, ob es ein solches Dreieck wirklich gibt. Doch genau um die Frage nach
der Wirklichkeit geht es bei den letzten Gewissheiten. Descartes sieht sich, mit anderen Worten, von der Mathematik auf die
Metaphysik zurückgeworfen. Er muss die uralte Frage der Philosophie klären: Welches sind die ersten Prinzipien der Wirklichkeit,
und kann der Mensch sie erkennen? Gibt es überhaupt einen Nachweis dafür, |74| dass wir nicht in einem Traum leben, der uns die Wirklichkeit nur vorgaukelt?
Das methodische Prinzip, Aussagen so lange auf ihre Begründbarkeit zu analysieren, bis man auf sichere Grundsätze stößt, die
intuitiv einsichtig sind, wendet er nun auf diese metaphysischen Fragen an. Doch er geht mit diesen Fragen anders als alle
seine Vorgänger um. Er unternimmt eine philosophische Introspektion, eine Selbstbefragung der Vernunft. Mit Hilfe des methodischen
Zweifels testet er, am Beispiel des eigenen Denkens, alle scheinbar selbstverständlichen metaphysischen Aussagen der Vernunft.
Die Blickrichtung auf das eigene Ich hatte ihm schon Montaigne vorgegeben, der in seinen
Essais
dieses Ich zum Prüfstein aller Erkenntnis und Erfahrung macht. Montaigne hatte nicht mehr – wie die antiken und mittelalterlichen
Philosophen – die Stellung des menschlichen Subjekts aus dem Zusammenhang des Kosmos, sondern umgekehrt, die Welt durch den
Filter des Ichs erschlossen. Im Unterschied zu
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