Profit
wie gehabt, und im Gegensatz dazu die Gespräche, die sie, in aller Eile, im abhörsicheren Saab führten. Irgendwie hatte Carla Erik und Kirsti dazu überredet, gemeinsam als Verbindungsglied zu dem Ombudsmann zu fungieren, und sie suchte jetzt regelmäßig das Brundtland auf, um neue Details von ihrem Vater zu erfahren. Kommuniziert wurde per Code über Eriks Netzverbindung, und es wurde sogar eine Scheinversöhnung zwischen den Eltern inszeniert, als Tarnung für die Informationen, die Chris und Carla dann in den hastigen Autokonferenzen besprachen.
Und damit kam eine Art Nostalgie ins Spiel, die bittersüße Erinnerung an etwas beinahe Verbrauchtes. Die den Umständen abgerungenen Augenblicke im Saab hatten einen Beigeschmack von unerlaubtem, heimlichem Sex, ein- oder zweimal endeten sie auch dementsprechend. Und in der übrigen Zeit, wo es galt, potenziellen Zuhörern ein harmloses Alltagsleben vorzuführen, behandelten sie einander mit ganz ungewöhnlicher Sanftheit und Rücksicht. In beiden Verlaufsformen ihrer neuen Existenz kamen sie jedenfalls besser miteinander zurecht als in den Monaten zuvor.
Es war schon merkwürdig.
Zwei Wochen, und dann kam der Ombudsmann.
Truls Vasvik war ihm auf Anhieb unsympathisch.
Zum Teil war es das Norwegische – die gleiche irritierende Aura von lässigem Naturmenschentum, die ihm, anlässlich der seltenen gemeinsamen Besuche in Tromsö, bei den meisten von Carlas Freunden aufgefallen war. Aber mehr noch lag es an der Kleidung. Hier stand ihm ein extrem gut ausgebildeter Mann gegenüber, der, Carlas Behauptung zufolge, mindestens so viel verdiente wie er selber, aber alle seine Klamotten zusammengenommen hatten sicherlich weniger gekostet, als Chris normalerweise für einen Friseurbesuch ausgab. Der graue Wollpullover war ausgeleiert und zerfranst, die unscheinbare Hose an den Knien ausgebeult und die augenscheinlich stark strapazierten Wanderstiefel hatten sich Vasviks Fußform angepasst. Der Mantel sah aus, als habe er darin geschlafen. Fehlten nur noch die unachtsam zurückgebundenen, schon grau werdenden Haare, um das Bild des postpubertären Globalisierungskritikers, der niemals erwachsen werden würde, zu vervollständigen.
Und genau das ist er garantiert.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte er zurückhaltend.
Vasvik zuckte die Achseln. »Ich sollte Ihnen danken. Sie nehmen ein viel größeres Risiko auf sich als ich.«
»Tatsächlich?« Chris versuchte den Schlag zu ignorieren, den Vasviks Bemerkung in seiner Magengrube landete. Die Umstände ihres Zusammentreffens machten ihn nervös und reizbar. Der neurotische Teil von ihm fragte sich, ob der Ombudsmann ihm einfach nur Angst einjagen wollte. »Ich hätte angenommen, dass wir alle beide verdammt schnell verhaftet werden würden.«
»Das ist richtig. Aber Ihre Regierung wäre gezwungen, mich wieder freizulassen, und zwar unversehrt. So viel Macht haben wir immerhin noch. Die Polizei könnte mich zwar, solange sie mich in den Fingern hätte, ein bisschen in die Mangel nehmen, aber das dürfte schwerlich schlimmer sein als einige andere Dinge, die ich schon erlebt habe.«
»Einer von den ganz Harten, wie?«
Erneutes Achselzucken. Vasvik blickte sich in der Werkstatt um und entdeckte einen uralten, an einer Wand abgestellten Barhocker aus Stahl. Er ging hinüber, um ihn sich zu holen. Chris bezwang seinen Ärger und wartete, dass der Norweger zurückkam. Wieder war er sich nicht sicher, ob Vasvik bewusst handelte oder nicht. Die emotionslose Ruhe des Ombudsmannes war nicht zu durchschauen.
Im übrigen Gelände von Mel’s AutoFix klapperten und knirschten die Werkzeuge. Der Lärm strapazierte seine Nerven. Es war nicht leicht gewesen, einen sicheren Ort für dieses Zusammentreffen zu finden, und noch immer fragte er sich, wie weit er Carlas Chef wirklich trauen konnte.
»Also dann.« Vasvik schleifte den Hocker unter den aufgebockten Audi, den Mel auf der Hebebühne gelassen hatte, und setzte sich. »Wollen wir übers Extrahieren sprechen?«
»Gleich.« Chris tigerte ein wenig unter dem Audi hin und her. Extrahieren. Wie das Wort in der Luft hing, das war selbst schon wieder ein kleiner Schock, so als würde man bei einem Quartalsfest auf Louise Hewitt zugehen und sie fragen, ob sie ficken wolle. »Ich muss mich immer noch an den Gedanken gewöhnen. Vielleicht brauche ich noch etwas Überredung.«
»Dann vergeuden wir hier unsere Zeit. Ich bin nicht hier, um Sie zu irgendetwas zu überreden,
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