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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Kälte, kein Schmerz. Aber Schemen, die sich bewegten wie durch die Luft treibende Nebelschwaden, und hier und da nahezu greifbar verdichteten.
    Ein riesiger, alles beschirmender Baum. Dazu das ziehende Gefühl von Sehnsucht und Heimweh. Schneeweiße Schwäne auf einem tiefschwarzen Wasserspiegel. Ein alter Mann mit einem breiten Hut. Ein Paar Wölfe mit irritierend gelben Augen. Zwei Raben, krächzend in der Luft.
    Der alte Mann beugte sich zu ihr hinab. Saß sie auf dem Boden? Nein, sie stand, aber sie war so klein wie ein Kind. Sie war ein Kind. Sie lächelte zu ihm auf, nahm seine Hand und ließ sich von ihm zum Teich führen. Er gab ihr eine Scheibe Brot, die sie in Brocken riss und den Schwänen entgegenhielt.
    Großvater nahm sie auf seine Knie und erzählte ihr Geschichten. Er hatte eine schöne, tiefe Stimme und sie lauschte ihm versunken und selbstvergessen. Sie wusste, dass sie seine Schwertmaid sein würde, wenn sie groß war. Ihr Opa war ein ganz besonderer Opa. Sie weinte, als ihre Mutter kam, um sie ihm wieder wegzunehmen. Sie wollte bei ihrem Opa bleiben.
    Ein junger Mann, auf einen Felsen gebunden, sich windend, schreiend unter dem Geifer der Schlange, der auf ihn herabtropfte. Flammend rotes Haar und Augen von der Farbe des Sonnenuntergangs. Das Gift zerfraß sein Gesicht, das einst so schön gewesen war wie das eines Engels.
    Der riesige Wolf zerriss seine Fessel und biss dem Mann, der ihn gehalten hatte, die Hand ab. Augen in der Farbe des Sonnenuntergangs. Die gleichen Augen, wie der Mann auf dem Felsen sie hatte.
    Dunkle Wolken zogen über dem riesigen Baum auf. Sie fürchtete sich. Wenn dem Baum etwas geschah, würde sie ihren Großvater nie wiedersehen. Sie war kein Kind mehr, aber noch nicht stark genug, um es mit den Mächten aufzunehmen, die sich gegen ihn verschworen hatten. Die böse Macht, der Feind im Dunkel. Er wollte ihre -
    Nichtexistenz.
    Sie schwebte körperlos im Nichts. Sie fiel rasend schnell auf ein unbekanntes Ziel zu. Sie überschlug sich, drehte Schrauben, raste in den Himmel empor, hinauf ins All. Das Nichts kreiste um sie herum. Ihr wurde übel.
    Waren ihre Augen geschlossen? Sie sah den Engel neben sich, er flog an ihrer Seite, ohne sie anzusehen. Sein Anblick war gleichzeitig beruhigend – da war etwas, ein fester Punkt, der Beweis, dass im Nichts doch Etwas sein konnte – und beängstigend. Er sah so streng aus. So ernst. Er war so groß, seine Flügel breiteten sich so weit aus, und sie strahlten in allen Farben des Spektrums, von einem blendenden Weiß bis zu einem schmerzhaften, glühenden Schwarz. Das Licht, das von dem Engel ausging, war tödlich. Ihre Augen waren nicht dazu bestimmt, ihn anzusehen. Sie würde erblinden, wenn sie ihn länger betrachtete, aber es war so tröstlich, ihn inmitten der Nichtexistenz neben sich zu wissen.
    Er wandte den Kopf und blickte sie an. Augen wie Sonnen und ferne Galaxien. Ein Gesicht, das zu ebenmäßig, zu ernst, zu schön, zu traurig war, um einem Sterblichen zu gehören. Seine Stimme, die von nirgendwoher, von überall erklang, dröhnte wie tiefe Glocken und war so laut, dass auch sie, wie sein Anblick, reiner Schmerz war. »Ashley Hjördis Fraxinus«, sagte die Stimme. »Du erstaunst mich immer wieder.«
    Sie schluckte, blinzelte geblendet. »Wer bist du, Engel?«, fragte sie stimmlos.
    »Man nannte mich Luzifer.« Die Antwort ließ sie ertauben. Der Anblick des Engels brannte ihren Sehnerv bis ins Gehirn aus. Sie fiel durch blendende Schwärze, aber der Engel hielt sie umfangen. Luzifers Arm bewahrte sie vor der -
    Nichtexistenz.
    »Da sind wir. Alles aussteigen, Endstation.«
    Sie fiel vornüber auf Hände und Knie und würgte. Ein Arm hielt ihre Schultern umfangen, eine Hand stützte ihre Stirn. Luzifer – nein. Macnamara. Er tätschelte ihre Schulter. »Gut gemacht, mein Mädchen. Tief atmen, gleich ist es besser. War eine verflucht holprige Passage, was?«
    Sie tat, was er sagte, und jeder tiefe Atemzug drängte die Übelkeit ein Stück zurück. Ash richtete sich auf, lehnte sich gegen die Wand und wischte ihr Gesicht mit dem Ärmel trocken. »Mach das nie wieder mit mir«, sagte sie mit fremder, heiserer Stimme.
    Macnamara hockte entspannt neben ihr, die langen Arme baumelten über die Knie. »Das erste Mal ist immer das schwerste. Du wirst sehen, es geht mit jeder Passage besser.«
    Ash schüttelte stur den Kopf. »Ich mache das kein zweites Mal. Da kriegst du mich nicht wieder durch!«
    Macnamara lachte und stand

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