Psychopathen
dass ich es überhaupt merkte.
Und dennoch: Als Psychologe sah ich die einfache, skrupellose Genialität dessen, was Morant sagte. Sein Modus Operandi richtet sich nach strikten wissenschaftlichen Prinzipien. Forschungsergebnisse zeigen, dass eine der besten Möglichkeiten, jemanden dazu zu bringen, von sich zu erzählen, die ist, etwas von sich selbst preiszugeben. Selbstoffenbarung wird erwidert. 76 Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass Ablenkung ein hervorragendes Mittel ist, um zu verhindern, dass jemand sich an etwas erinnert. 77 Und dass es vor allem wichtig ist, sehr schnellzu dieser Strategie zu greifen. [23] In der klinischen Psychologie kommt bei fast jeder therapeutischen Intervention der Punkt, an dem der Therapeut auf eine Goldgrube stößt: eine Zeit aufdeckt, einen bestimmten Moment oder Vorfall, der das Problem zum Vorschein oder auf den Punkt bringt. 78 Und das gilt nicht nur für die Dysfunktion. Persönlichkeitsstrukturen, interpersonale Stile und persönliche Werte – all dies kommt oft am besten im Kleingedruckten eines Menschenlebens zutage.
»Wann immer man jemanden interviewt, hält man Ausschau nach dem scheinbar Irrelevanten«, sagt Stephen Joseph, Professor für Psychologie, Gesundheit und Sozialfürsorge am Centre for Trauma, Resilience and Growth der University of Nottingham. »Die heftige Auseinandersetzung im Büro vor zehn Jahren mit Brian aus der Buchhaltung. Das eine Mal, als der Lehrer sagte, du seist zu spät und müsstest draußen bleiben. Oder als du die ganze Arbeit geleistet hast und Dings die Lorbeeren eingeheimst hat. Man sucht nach Nadeln, nicht nach Heuhaufen. Nach den tief im Gehirn eingeschlossenen Granatsplittern des Lebens.«
Was war da noch mit der Arbeit und den Lorbeeren, die jemand anders dafür erntet? Aber nicht doch.
Die Wahrheit über das Lügen
Betrüger und Geheimagent sind laut einer Vertreterin des britischen Ministeriums für Innere Sicherheit zwei Seiten derselben Medaille. Beide, so erklärte sie, sind auf die Fähigkeit angewiesen, sich als jemand auszugeben, der sie nicht sind, schnell zu reagieren und sich in Netzen der Täuschung zurechtzufinden.
Es würde mich überraschen, wenn Eyal Aharoni dem widerspräche. 2001 stellte Aharoni, ein Postdoktorand der Psychologie an der University of New Mexico, eine Frage, die – kaum zu glauben – bis dahin noch niemand gestellt hatte. Wenn Psychopathie unter bestimmten Umständen tatsächlich von Vorteil war, machte sie einen dann zu einem besseren Kriminellen? 79
Um dies herauszufinden, schickte er an über 300 Insassen von Gefängnissen der mittleren Sicherheitsstufe im Bundesstaat New Mexico einen Fragebogen. Dann errechnete er für jeden Insassen einen Punktwert für »kriminelle Kompetenz«, indem er die Anzahl der Verbrechen mit der Gesamtzahl an Nicht-Verurteilungen verglich (z. B. sieben Nicht-Verurteilungen aus einer Gesamtzahl von zehn Verbrechen = eine Erfolgsrate von 70 Prozent). Aharoni deckte etwas Interessantes auf: Psychopathie ist in der Tat ein Indikator für kriminellen Erfolg.
Doch es gibt da eine Einschränkung: Eine sehr hohe Dosis an Psychopathie (alle Regler auf maximal gestellt) ist genauso schlecht wie eine sehr niedrige. Es sind die mittleren Level, die größere »Leistungen« ermöglichen.
Wie
Psychopathie den Menschen tatsächlich zu einem besseren Kriminellen macht, bleibt jedoch offen. Einerseits sind Psychopathen Meister darin, unter Druck einen kühlen Kopf zu bewahren, eine Fähigkeit, die ihnen durchaus einen Vorteil in einem Fluchtfahrzeug oder einem Verhörzimmer verschaffen könnte. Andererseits sind sie auch skrupellos und schüchtern Zeugen möglicherweise so ein, dass sie keine Aussage machen. Ebenso plausibel, und auf Spione und Betrüger gleichermaßen zutreffend, wäre aber auch, dass Psychopathen nicht nur skrupellosund unerschrocken sind, sondern noch ein anderes, vornehmeres Talent besitzen.
So wie auch die Top-Pokerspieler dieser Welt können sie vielleicht besser als andere ihre Gefühle kontrollieren, wenn viel auf dem Spiel steht und sie mit dem Rücken zur Wand stehen – was ihnen nicht nur außerhalb des Gerichtssaals bei der Planung und Durchführung ihrer ruchlosen Taten einen Vorteil verschaffen würde, sondern auch innerhalb des Gerichtssaals.
Bis 2011 gründeten sich die Beweise hierfür weitgehend auf Indizien. Zusammen mit Bob Hare hatte Helinä Häkkänen-Nyholm, eine Psychologin der Universität Helsinki, beobachtet, dass
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