Pubertät – Loslassen und Haltgeben
sie, «da gibt’s eine klare Absprache. Er hat unter der Woche spätestens um 8.00 Uhr abends zu Hause zu sein. Er ist damit einverstanden. Wir setzen uns abends noch gerne zusammen. Doch einmal verspätet er sich um fünf, dann um zehn Minuten, manchmal sogar um eine halbe Stunde. Und er hat die tollsten Ausreden.» Sie schmunzelt. «Fehlt nur noch, dass er sagt, ihm sei ein Außerirdischer begegnet.» Sie sieht mich an. «Wenn ich gut in Form bin, sage ich nichts. Wenn ich nicht so gut drauf bin, dann rede ich und rede und rede … und jedes Mal verspricht er, pünktlich zu sein.»
Pubertierende reizt es, sich an Grenzen zu reiben. Sie überprüfen, wie weit sie gehen können und wie ernst es die Eltern meinen. Die zeitlichen Grenzüberschreitungen sind Versuche von Tim, seine Mutter auszutesten. Und da ist es wichtig, sich einer Auseinandersetzung selbst dann zu stellen, wenn es nur um wenige Minuten geht. «Aber ich komme mir so bürokratisch vor», meint Tims Mutter. «Bin ich nicht überpenibel?»
«Nein», sagt Alfred Krohn, Vater des 1 3-jährigen Jonas. «Ich war genauso. Anfänglich achtete ich nicht darauf, dass er begann, unsere Vereinbarungen zu unterlaufen. Er sollte um zehn zu Hause sein. Zuerst kam er um fünf Minuten nach zehn, dann um sechs Minuten nach zehn usw. usw. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll, brüllte ihn an, aber er hatte für jedes Zuspätkommeneine Erklärung. Genauso wie bei Ihnen.» Er meint Tims Mutter und erzählt von einer Begebenheit: «Als er eines Abends zu spät kam, hab ich mit ihm geredet, ganz ruhig. Ich hab ihn an die Absprache erinnert, wollte wissen, ob er sich noch daran erinnere.»
«Klar», sagte Jonas damals. «Aber es kommt immer etwas dazwischen. Wenn ich um elf komme, dann geht’s leichter.»
«Um zehn», beharrte der Vater. «Ich bin für dich verantwortlich. So steht es auch im Gesetz, und du warst einverstanden.»
«Ja», antwortet Jonas zögerlich. «Aber weißt du, es ist so schwer.»
«Was ist schwer?»
«Ich vergess meistens die Zeit und …»
«Was ‹und›?», will der Vater wissen.
«Und alle anderen dürfen länger bleiben!»
«Du bist nicht alle!», meint Alfred Krohn freundlich.
«Stimmt!» Jonas’ Stimme klingt ironisch, dann mit Bestimmtheit: «Und alle haben nicht so einen Vater wie ich!»
«Stimmt haargenau!»
«Ganz schöne Scheiße!»
Als der Vater diesen Angriff ins Leere laufen lässt, versucht Jonas zu verhandeln.
«Halb elf?»
«Wie, halb elf?»
«Statt um zehn um halb elf!»
Der Vater schüttelt den Kopf. «Bitte!» Der Vater bleibt bei seinem Nein. Jonas überlegt: «Warum nicht?»
«Um zehn», wiederholt der Vater. «Ich habe einmal den Fehler gemacht, nicht konsequent zu sein.»
«Du vertraust mir wohl nicht?», fragt Jonas mit säuselndem Stimmklang.
«Jonas, ich vertraue dir, nur bei der Einhaltung der Discozeit hast du Probleme. Da schaffst du das nicht!»
«Das nächste Mal bestimmt! Ehrlich! Versprochen!»
«Für die nächsten vier Wochen nochmals um zehn! Dann überlege ich mit dir weiter!» Alfred Krohn wirkt souverän.
«Um Viertel nach zehn!», feilscht Jonas weiter.
«Jonas! Um zehn!»
Der Sohn zuckt kurz zusammen, überlegt, als Elfriede Krohn den Raum betritt.
«Papa ist so stur!», ruft er seiner Mutter entgegen.
«Wo ist er stur?», will sie wissen.
«Bei der Uhrzeit!» Jonas sieht seine Mutter an – so als wolle er ihre Unterstützung.
«Ich soll um zehn zu Hause sein!»
«Und du?», lächelt sie ihren Sohn an: «Wann willst du zu Hause sein?»
«Um Viertel nach zehn!» Jonas klingt etwas weinerlich. Dann wiederholt er: «Doch nur um Viertel nach zehn!»
«Nun sei mal nicht so übergenau», meint die Mutter zu ihrem Mann. «Nun sei doch nicht so penibel!»
«Genau!», bekräftigt Jonas. Alfred Krohn sieht seine Frau an. «Und wer fragt, wenn unser Sohn nicht um fünf nach zehn zu Hause ist, ob ihm wohl nichts passiert ist, und wer muss um zehn nach zehn auf die Piste, um ihn dann zu suchen?»
«Na ja», gibt Jonas’ Mutter zu.
«Um fünf nach zehn», verhandelt Jonas weiter.
«Jonas», die Stimme von Alfred Krohn klingt nach wie vor klar und ruhig, «ich glaube, du hast mich jetzt verstanden!»
«Gut, um zehn», lenkt Jonas ein. «Aber wenn ich im Dunkeln die Uhr nicht ablesen kann?» Der Vater lächelt. «Oder noch vor der Bahnschranke halten muss?» Der Vater lächelt immer weiter. «Um zehn, Jonas!»
«Alfred!», ruft Jonas’ Mutter aufgebracht dazwischen.
«Um
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