Qiu Xiaolong
Sie zum erstenmal in Guangzhou sind, entspannen Sie sich einfach und amüsieren Sie sich hier. Die Sonderwirtschaftszonen Shenzhen und Shekou sind hier in der Nähe. Dort fahren eine Menge Touristen hin«, sagte Hua. »Fragen Sie bei uns jeden Tag nach, wenn Sie möchten. Aber wenn Sie sich auch selbst umschauen wollen, nur zu.«
Vielleicht hatte Chen den Fall wirklich, wie ihm Inspektor Hua zu verstehen gegeben hatte, zu ernst genommen. Als er aus dem Polizeipräsidium kam, rief Chen gleich Huang Yiding an, den Herausgeber einer Literaturzeitschrift in Guangzhou, in der einige Gedichte von ihm erschienen waren. Huang habe gekündigt und betreibe jetzt eine Bar mit dem Namen Nightless Bay in der Gourmetstraße, erklärte ihm eine junge Frau am anderen Ende der Leitung. Die Straße war nicht weit weg. So nahm Chen ein Taxi und fuhr hin.
Die sogenannte Gourmetstraße war die leibhaftige Speisekarte. Unter einem Gewirr von Schildern wurden vor den Restaurants in der Straße die verschiedensten exotischen Tiere in Käfigen unterschiedlichster Größe ausgestellt. Die Küche der Provinz Guangdong war für ihre verrückten Einfälle bekannt. Schlangensuppe, Hundefleischeintopf, Dips mit Affenhirn, Gerichte mit Wildkatzen oder Bambusratten. Angesichts der lebenden Tiere in den Käfigen konnten die Kunden ohne jeden Zweifel sicher sein, nur frische Kost zu bekommen.
Chen fand die Nightless Bay, mußte aber zur Kenntnis nehmen, daß Huang zu neuen Ufern nach Australien aufgebrochen war. Das bedeutete auch schon das Ende seiner Beziehungen in Guangzhou. Die Straße entlangschlendernd, sah er die Leute in und vor den Restaurants essen und trinken. Er hatte den Verdacht, daß einige der Wildtier-Delikatessen wohl mit vom Aussterben bedrohten Tierarten zubereitet worden waren. Die Volkszeitung hatte jüngst berichtet, daß trotz Gegenmaßnahmen der Regierung derartige Gerichte in zahlreichen Restaurants immer noch serviert wurden.
Ziellos kehrte er um, ging zum Fluß und dann zu einer Landungsbrücke. Am Strand standen Holzbänke, und einige Paare warteten darauf, daß ein Boot für sie frei wurde. Er war nicht in der Stimmung, allein ein Ruderboot zu nehmen. Nachdem er ein paar Minuten auf einer Bank gesessen hatte, machte er sich auf den Weg zurück in seine Bleibe.
Dunkle Wolkenmassen sammelten sich am Horizont. Es war schwül im Zimmer. Chen bereitete sich eine Tasse grünen Tee mit dem lauwarmen Wasser aus der Thermosflasche. Nachdem er die zweite Tasse Tee getrunken hatte, begann es zu regnen, und aus der Ferne war grollender Donner zu vernehmen. Draußen überzog die Straßen eine schmutzige Brühe. Jeder Versuch hinauszugehen war zwecklos. Er beschloß, im Restaurant des Gästehauses etwas zu essen. Der Speisesaal war sauber, die Tische mit gestärkten Tischtüchern und glänzenden Gläsern gedeckt. Die Speisekarte war klein. Er aß eine Portion gummiartigen Fisch mit gedämpftem Reis. Das Essen war nicht gerade phantastisch, aber genießbar und, was für ihn wichtiger war, nicht teuer. Bald aber empfand er den Nachgeschmack des Fisches als störend. Er schenkte sich eine weitere Tasse Tee ein, in der Hoffnung, damit seinen Magen beruhigen zu können, aber das lauwarme Wasser half nicht. Bis es an der Zeit war, schlafen zu gehen, mußte er noch zwei bis drei Stunden totschlagen.
An das Kopfende seines Bettes gelehnt, schaltete Chen sein Kofferradio ein. Die Nachrichten wurden hier in Kantonesisch gesendet, das er kaum verstehen konnte. Er stellte das Radio ab. Da hörte er Schritte im Gang, die vor der Tür seines Zimmers haltmachten. Es wurde leise geklopft, doch bevor er noch etwas sagen konnte, wurde die Tür geöffnet. Herein trat ein Mann Anfang Vierzig, hochgewachsen, hager und mit vorzeitiger Glatze. Er trug einen teuren grauen Anzug, der durch das immer noch am Ärmel baumelnde Etikett als Importartikel ausgewiesen wurde – ein Zeichen seines Wohlstandes –, und einen bestickten Seidenschal. Außer einer ledernen Aktentasche hatte er kein weiteres Gepäck.
Ein Trivialschriftsteller mit einem oder zwei Büchern auf der Bestsellerliste, mutmaßte Chen.
»Hallo, ich störe Sie hoffentlich nicht beim Schreiben.«
»Überhaupt nicht«, sagte Chen. »Sie wohnen auch hier?«
»Ja. Ich bin Ouyang.«
»Chen Cao.« Chen überreichte seine Karte. »Nett, Sie kennenzulernen.«
»Sie sind also ein Dichter und – oh – ein Mitglied des Verbandes.«
»Nun ja, nicht ganz.« Chen hub zu einer Erklärung an, besann
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