Rache der Königin
Belagerung von La Rochelle, deren Erfolg ja wesentlich
sein Werk gewesen war, sich nun zu einem weiteren anschickte, entsprechend jener entschlossenen und unternehmenden Politik,
in der er sich mit Ludwig einig wußte: die Interessen Frankreichs und seiner Verbündeten überall, wo es nützlich war, mit
Klauen und Zähnen zu verteidigen und keinen |55| einzigen Augenblick Spaniens heimtückische Vorherrschaft zu dulden, wie es unsere Erzfrömmler blindlings wünschten.
Außerdem hatte dieser neue Feldzug trotz aller Wintershärten das Berauschende, daß unsere dem Herzog von Savoyen wie auch
den Mailänder und den Kaiserlichen Spaniern überlegene Truppenstärke uns diesmal einen raschen Sieg verhieß.
Für Richelieu bestand zwischen seiner Prälatenrobe und dem Kriegführen kein Widerspruch, sofern es ein gerechter und defensiver
Krieg war. Im übrigen hielt er große Stücke auf seinen Adel, und ich bin fest überzeugt, daß er die Waffenlaufbahn erwählt
hätte, wenn er nicht hätte Bischof werden müssen, um seiner Familie das ererbte Bistum zu erhalten. Wie jeder weiß, widmete
er sich seinen Amtspflichten jedoch mit so unablässigem Fleiß und Eifer, daß sein kleines Bistum, nach seinen Worten »das
lausigste von ganz Frankreich«, zum bestgeführten wurde. Sein Geist aber dürstete nach einem größeren Handlungskreis, und
stufenweise näherte er sich den großen Reichsgeschäften, die ihn nicht aus Großmannssucht oder Begehrlichkeit anzogen, sondern
weil er wußte, daß er, zu höchster Macht gelangt, seine Sache trefflich machen würde, und zwar nicht nur zum Wohle eines kleinen
Bistums, sondern eines großen Königreichs.
In seinen Wagen eingestiegen, öffnete ich kaum den Mund, als der Kardinal mit leichter Geste die Grußzeremonie unterbrach.
»Mein Cousin«, sagte er, »Ludwig möchte Euch mit einer delikaten Angelegenheit betrauen. Dazu müßt Ihr wissen: In Grenoble
wird Toiras mit den Resten der La-Rochelle-Armee, circa fünftausend Mann, zu uns stoßen. Der Fourier hat Befehl, in besagter
Stadt für die Dauer des Aufenthalts ein Logis zu finden, das Ihr mit Toiras teilen sollt. Seid Ihr damit einverstanden?«
»Sehr, Eminenz.«
»Also mögt Ihr Toiras?«
»Ich mag ihn, und ich schätze ihn, wenngleich mit Nuancen.«
»Wie meint Ihr das?«
»Toiras, Eminenz, ist ein aufrechter Mann, lauter wie ein unbenagter Taler, tapfer, beharrlich, klug. Und er versteht sich
auf den Krieg.«
»Und die Nuancen?«
»Nun, Eminenz, sagen wir, daß Toiras sich seiner Heldentaten gern ein bißchen reichlich rühmt und leider, wie jeder |56| Prahlhans, übermäßig empfindlich ist. Fühlt er sich nicht hinreichend geehrt, gerät er in stürmischen Zorn, der nichts und
niemanden verschont. Seine Majestät kennt sich aus, Toiras war einst des Königs Favorit.«
Eigentlich wußte Richelieu dies alles so gut wie ich, und es kam ihm bei seiner Befragung auch nicht so sehr auf diese Fakten
als auf die Gefühle an, die Toiras mir einflößte.
»Wißt Ihr für diese Zornesausbrüche ein Beispiel?«
»Ein berühmtes, Eminenz, aber das kennt der ganze Hof.«
»Erzählt es trotzdem. Ich möchte Eure Version hören.«
»Nun, als Toiras von seinem Favoritensockel stürzte und Ludwig ihn durch Saint-Simon ersetzte, brach Toiras
urbi et orbi
in heftigste abschätzige Worte gegen seinen armen Nachfolger aus, indem er lauthals sagte, das ganze Genie dieses ›Scheißers‹
bestehe darin, daß er dem König auf der Jagd, als sein Pferd todmüde war, das Ersatzpferd genau parallel gestellt habe, so
daß Seine Majestät vom einen Sattel in den anderen steigen konnte, ohne den Boden zu berühren. Wie Eure Eminenz weiß, wollte
der entrüstete Saint-Simon Toiras seine Zeugen schicken, doch der König verbot es ihm und sagte: ›Toiras tötet dich, Saint-Simon,
dann muß ich ihm den Kopf abschlagen und verliere derweise zwei gute Diener. Das will ich nicht.‹«
»Und wie kamt Ihr, mein Freund, mit seinem aufbrausenden Charakter zurecht«, fragte der Kardinal, »als Ihr in der Festung
auf der Insel Ré monatelang von Buckingham belagert wurdet?«
»Zu Anfang schlecht, Eminenz. Dann aber sehr gut. Es erforderte meinerseits nur einige Löffel Honig und einige Demutsbekundungen.«
»Demut«, sagte Richelieu, der in diesem Moment an sein Verhältnis zu Ludwig denken mochte, »ist nicht nur eine löbliche Tugend,
sie kann manchmal auch äußerst nützlich sein. Es freut mich, daß Ihr
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